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#9

Die Aktion, 1913, Jg. III, Nr. 9, Sp. 261-265

Österheld, Erich
Wie die deutschen Dramatiker Barbaren wurden

Dieser Aufsatz war bereits im Satz, als Herr Kyser seinen von dem Filmisten H. H. Ewers kindisch begrinsten Artikel in der "B. Z. am Mittag" veröffentlichte. Dass Erich Österheld als Leiter einer bekannten Bühnenvertriebsfirma sich so energisch gegen die Kino-Mittäter wendet, ist um so erfreulicher, als ja die Bühnenvertriebsstellen durch die Barbarentat der deutschen Dramatiker finanziell nicht geschädigt sind. Ist übrigens den Herren Hauptmann und Schnitzler die liebliche Tatsache bekannt, dass ihre Kino-Tantiemen von den Filmfabriken als ... Reklameunkosten gebucht werden? He? Vielleicht berichtet die Tagespresse, der ich den Nachdruck des Österheldschen Aufsatzes empfehle, von dieser Tatsache ihren Lesern ...

FP [Franz Pfemfert]

Anno 1775, am 23. Oktober, schrieb das problematische Genie des "Sturm und Drang", der damals aussichtsreichste Dramatiker Jakob Michael Reinhold Lenz an seinen Kollegen, den Alexandrinerdramatiker Fr. Wilh. Gotter:

"Ich bin nie gewohnt gewesen, meine Sachen zu verkaufen, nur die höchste Not treibt mich dazu." Und am 20. November desselben Jahres heisst es in gleichem Sinn an Herder: "Wär' ich meiner kleinen Schulden frei, nähm' ich durchaus kein Buchhändlerhonorarium, das mir für jeden Schriftsteller äusserst schimpflich erscheint." Das war anno 1775, und Lenzens Worte, die innerlich auch heute nicht ohne Berechtigung sind, haben nach aussen hin das Patina der 137 Jahre angenommen, die sie von unsrer Meinung trennen. Heute ist im Gegenteil jedes Schriftwerk Wertobjekt und sein Verkauf um so schimpflicher, je weniger Honorar es einbringt. Mit Geist Handel treiben, ist gewiss jeder edlen Künstlerseele zuwider, dieser Handel ist durch den Materialismus der modernen Zeit genügend sanktioniert worden. Der moderne Dramatiker gibt sich mehr denn je als money-maker, als Spekulant auf Metallwerte, den die Gunst des Publikums als Gegenwert bietet; und das gewiss mit um so grösserem Recht, je weniger er die Gunst seines Publikums mit Blechmünzen bezahlt. Heute ist Armut eine Schande und kein Handwerk schändlich, das sich rentiert.

Aber mehr denn je ist das moderne Dramatikerhandwerk auf die launische Gunst des Publikums angewiesen, und so schien es vernünftig, als sich die Tüchtigsten zu einem "Verband" zusammentaten, der ihre wirtschaftlichen Interessen vertreten und ihr zumeist undankbares Gewerbe "erträglicher" machen sollte. Die Erwartungen der "verbündeten" Dramatiker sind denn auch nicht enttäuscht worden: die Vertriebsstelle des "Verbandes deutscher Bühnenschriftsteller" konnte, wie bereits an mehreren Stellen dargetan wurde, im letzten Jahre ziemlich erkleckliche Dividenden auszahlen. Diese erfreulichen Erfolge sollen mir gewiss nicht als Grund zu einem neidischen Angriff auf ihre Organisation dienen, wenn ich diese Erfolge auch als auf falscher Grundlage beruhend nicht gar so hoch estimieren kann, wie es, allen äusseren Anzeichen entsprechend, gegeben wäre. Denn diese beträchtlichen und für jedes Mitglied gewiss erfreulichen Dividenden konnten nicht, wie man annehmen müsste, auf Grund energischer Ausnützung der dramatischen Produktion ihrer Mitglieder bezahlt werden, sondern zum grössten Teil nur aus den Erträgnissen der schlimmsten Feindin deutscher Dramatik: der Operette (man denke an die Gilbertschen Operetten, die der Vertriebsstelle angehören), und ich bin gewiss, dass die ersten und ringenden Dramatiker mit den Erfolgen der eigenen Werke nicht ganz so sehr zufrieden sein können. Aber auch dagegen kann man, zumal als outsider des Verbandes, keine Klagen richten, denn es bleibt immer Angelegenheit der Einzelnen, ob sie sich mit diesen Ergebnissen ihres literarischen Ehrgeizes bescheiden können; und schliesslich spricht alles nur für den geschäftlichen Geist und die energische Art des Verbandsleiters, wenn er die Objekte so weit als möglich ausnützt, die dem Geschmack des Publikums am meisten entsprechen. Aber dieser "Verband deutscher Bühnenschriftsteller", der die schlimmen Feinde des Theaters, des Dramas, und die Benachteiligung seiner Mitglieder mit allen Machtmitteln bekämpfen will, treibt seinen geschäftlichen Spekulationsgeist auf die Spitze hässlicher Gewaltmassregeln und vernichtet auf diese Weise das, was zu fördern ihm Amt und Pflicht gewesen wäre. Und dagegen drängt es mich aufzustehen, da es bislang keiner für mich getan. - Aber zuvor bin ich Erklärungen schuldig:

Vor gar nicht zu langer Zeit protestierte, wie man weiss, die Phalanx der verbündeten Bühnenschriftsteller gegen die kaninchenartige Vermehrung des Kinos und die schädlichen Folgen dieses Kulturauswuchses. Allen Einsichtigen war die Gefährlichkeit und Massensuggestion des Kinos mit seiner von aller edlen Kunst abwendenden Verrohung ernst bewusst, und so hielten wir die energische Reaktion aller, die in der Kunst des Theaters und des Dramas Notwendigkeit und edlen Zweck sahen, für ein Verdienst um die gute Sache und klatschten ihr Beifall. Gewiss mag das Kino in mancher Hinsicht seine Vorzüge haben und für wissenschaftliche Zwecke auch förderlich, vielleicht sogar notwendig sein, aber da, wo es mit der Kunst des Theaters in Berührung kommt, wo es als Ersatz der Bühnenwirkung in den Vordergrund tritt, ist es gemeingefährlich. Die Verinnerlichung des Bühnenbildes bewirkt der dichterische Gedanke oder die Idee im Wort, die auf eine Beseelung des Raumes ausgeht. Bühne und Drama oder Raum und Gedanke gehören so tief innerlich zusammen, dass alle dramatische Kunst sich auflösen muss, wenn dieses von jenem getrennt wird. Die Filmwirkung ist die bewusste und notwendige Ausschaltung von Gedanken und Wort, gibt nur Raum und Vorgang, gibt nur Bild im Bilde, ist also eine schematische Veräusserlichung jener Kunstform, an der Genie und Geist von Jahrhunderten gearbeitet haben. Die Masse ist der natürliche Feind des Gedankens: ihr genügt die Oberfläche des Geschehens, die logische Aneinanderreihung von Bild an Bild, die Gehirn und Seele ausschaltet, so wie den Oberflächlichen der äussere Mensch für die ganze Persönlichkeit genügt. Sie ist infolgedessen auch der geborne Interessent des Kino und reisst, stromartig, auch die edleren Teile des Volkes mit sich. Das Theater erfordert, soweit es Kunst bietet, Einstellung, Organ, Resonanzfähigkeit, die zum edlen Mark des Volkes gehören. Der schlimmste Feind des Künstlerischen ist die Veräusserlichung, und somit stehen sich Theater und Kino als extreme Pole feindlich und unversöhnbar gegenüber. Denn dieses bezweckt Verinnerlichung und jenes Veräusserlichung; ein Hinströmen zum Kino heisst ein Abwenden vom Theater.

Deshalb war es ernste Pflicht, besonders der Bühnenschriftsteller, gegen die Kinopest energische Massregeln zu treffen, zumal da jene günstigerer Existenzbedingungen sich erfreuen, als die Theater sie je gekannt. Aber die money-maker-Natur des Menschen nützt mit natürlicher Selbstverständlichkeit die Chancen aus, die äusseren Nutzen und Vorteil mit sich bringen. Deshalb ist es begreiflich, wenn auch nicht verzeihlich, wenn nach und nach auch die besten Schauspielerkräfte ihre Tätigkeit den schlimmsten Feinden ihres Berufs zur Verfügung stellen. (Es fehlt in den Direktorenverträgen ein Passus, der wenigstens den ersten Kräften ihre Mitwirkung im Kino untersagt!) Für das immer grösser werdende Lichtspielpublikum ist natürlich die Tatsache ausschlaggebend, dass es im "Kientopp" für billiges Geld auch ein "Drama" sehen kann, und gar mit den abenteuerlichsten Geschehnissen und spannendsten Verwicklungen, die die Bühne gar nicht einmal zu bieten vermag. Was ihnen die "Laterna magica" ihrer Kindertage war, ist ihnen jetzt das Kino, das ermüdende Augenreizmittel: ein konzessionierter Ersatz für die Indianer- [Indianergeschichten] und Nick Carter-Geschichten ihrer Jugend.

Doch zur Sache: Kurze Zeit, nachdem sich der "Verband deutscher Bühnenschriftsteller" in diesem Sinne gewehrt hatte, berief er abermals eine Versammlung ein, die das geschäftliche Verhältnis des Dramatikers zur Filmfabrik regeln sollte. Mit andern Worten: die Bühnendichter wurden aufgefordert, auch Kinodichter zu werden und ihre Tantiemen durch finanziell glänzende Abschlüsse mit ersten Filmfabriken zu erhöhen. Diese niedliche Tatsache wurde alsbald durch sämtliche Zeitungen lanciert, die kurz darauf als letzte Aktualität brachten, dass die Bühnendichter von Rang und Wert von jetzt ab auch für 's Kino arbeiten würden. Blumenthal war vorangegangen, Gerhart Hauptmann und Arthur Schnitzler, zwei wichtige Stützen der deutschen Bühne, kamen nach. Das Publikum ist natürlich entzückt ob dieser direkten Aufforderung zur Ahwendung vom Theater und wird jetzt voraussichtlich seine obligaten Hauptmann- [Hauptmannpremmieren] und Schnitzlerpremieren im Lichtspieltheater suchen.

Ich frage mich: Sieht denn niemand die grosse Gefahr, die in diesem durch die Dramatiker und ihren Verband bewirkten Umschwung der Verhältnisse dem ernsten Theater droht? Besonders jetzt, in dieser krisenreichen Zeit, wo Theater und Pleite sich ergänzende Begriffe geworden? Geschäft ist Geschäft, gewiss! Aber muss diese Lichtspieldramatikerallianz nicht das spärliche Theaterpublikum mit Gewalt aus dem Parterre treiben? Und ist es nicht schimpflich, dass Dramatiker, auf deren Fähigkeiten die Schaubühne bauen konnte, und die nicht mehr auf jeden Pfennig angewiesen sind, sich skrupellos in den Dienst der schlechten Sache stellen, dass ein Hauptmann, ein Schnitzler üblen Filmdichtern ihr mörderisches Handwerk sanktionieren? Das heisse ich eine schändliche Vergröberung dramatischer Kunst, ein barbarisches Charmieren mit Pöbelinstinkten, dem man entgegenwirken sollte. Und keiner erhebt seine Stimme wider dieses moderne Sodom und Gomorrha einer verruchten Zeit, die aus Liebe zum Geld ihre Kunst aus dem Tempel jagt oder zum Gaudium der Masse gefilmten Geist

auf die geduldige Leinwand malt! ? Und wer ist schuld an dieser schmählichen Vergröberung des literarischen Triebs? Der "Verband deutscher Bühnenschriftsteller" und seine money-süchtigen Dramatiker, dieselben, die so wehleidig den Niedergang des Theaters beklagen. Es ist schade um ein Volk von Dichtern und Denkern, das seine dramatischen Ideale in der Bilderreportage sieht.

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