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#872

[Monographie]

Rechtsanwalt Dr. Wenzel Goldmann, Schriftführer
Denkschrift über die Kinematographentheater im Auftrage des Verbandes Deutscher Bühnenschriftsteller

Überreicht vom Verbande Deutscher Bühnenschriftsteller e. V., Berlin W 30, Motzstr. 19

Durch die Vervollkommnung der technischen Mittel, einem grösseren Publikum Photographien in so schneller Folge vorzuführen, dass dadurch der Eindruck lebendigen Handelns erzeugt wird, haben die sogenannten Kinematographentheater einen ungeahnten Verbreitungskreis gezogen. Diese Unternehmungen beschränken sich nicht darauf, Bilder aus der Natur oder dem Leben vorzuführen, sondern haben ihre Hauptanziehungskraft darin gefunden, dass sie parallel mit den eigentlichen Theatern dramatische Werke zur Ansicht bringen, d. h. eine Reihe schnell aufeinanderfolgender Bilder zusammengefasst durch eine Kombinationsidee. Es werden also Menschen gezeigt in verschiedenen aufeinanderfolgenden Situationen, und es wird so eine Handlung abgewickelt. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass mit diesen Vorführungen die Kinematographentheater das Feld der Theater betreten, in denen lebende Personen eine dramatische Handlung darstellen. Ein prinzipieller Unterschied zwischen beiden Unternehmungen besteht nicht. Allerdings fehlt bei den Vorführungen durch das Kinematographentheater das gesprochene Wort, weil eben die Darsteller nicht selbst auftreten, sondern nur gezeigt werden. Allein auch bei den Vorführungen der eigentlichen Theater wird das Wort oft ausgeschaltet, so bei Pantomimen und Balletts. Im übrigen sei aber darauf hingewiesen, dass neuerdings die Vorführungen in den Kinematographentheatern durch die Worte eines Vortragenden erklärt werden. Dass bei den kinematographischen Vorführungen nicht nur das Auge, sondern auch das Ohr beansprucht wird, ist eine bekannte Tatsache, da in jedem Kinematographentheater Musik geboten wird. Ebenso wie das eigentliche Theater wendet sich das Kinematographentheater nicht wie das Buch an einen einzelnen, sondern an eine Masse und rechnet in seinen Wirkungen auf deren eigentümliche Instinkte.

Wären nun durch die dramatischen Kinematographenvorstellungen die bestehenden Kunstformen um eine Kunstform bereichert worden, so könnte man gegen ihr Vordringen keinerlei berechtigte Einwendungen erheben, und Schriftsteller, Bühnenleiter und Schauspieler müssten sich damit abfinden, wenn sich das Interesse des Publikums dieser neuen Kunstform unter Vernachlässigung der älteren zuwenden würde. Dem ist jedoch nicht so. Theatralische Vorstellungen der Kinematographentheater haben mit den edlen Wirkungen dramatischer Kunst nichts gemein, sie spekulieren auf niedere Instinkte und Sensationsgelüste des Publikums, und zwar besonders des Publikums, das ausserstande ist, diesen schädlichen Wirkungen die Hemmungen geistiger Bildung entgegenzusetzen. Die Stücke dieser Bühnen gehen lediglich darauf aus, eine äussere Spannung zu erzielen und die Zuschauer durch grässliche und gewalttätige Vorgänge zu erregen und ihre Phantasie zu erhitzen. Eine Berliner Zeitung berichtete jüngst: "Während die Gräfin Metternich sogleich nach der Haftentlassung ihres Gatten Berlin verlassen hat, trat ihr Schatten in den Kammer-Lichtspielen gestern vor das Berliner Publikum. Oskar Baudiner hat der Künstlerin ein Drama 'Der Unbekannte' geschrieben, ein richtiges kinematographisches Sensationsstück, das von Erpressern, Falschmünzern, Detektivs und Polizisten nur so wimmelt, der Gräfin aber Gelegenheit zur Entfaltung ihrer grossen darstellerischen Begabung gibt." Diese Wirkung wird auch regelmässig erzielt, da gerade Jugendliche einen grossen Bruchteil des Kinopublikums bilden. Zu dieser Beziehung übertreffen die Darbietungen der Kinematographentheater noch erheblich die Schundliteratur, deren furchtbare Wirkungen auf unsere Kultur Fürsorgeanstalten und Gerichtsverhandlungen tagtäglich zeigen.

Die Gesetzgebung kann an diesen Erscheinungen nicht vorübergehen; sie muss ihnen entgegentreten und ihre Beseitigung nach Möglichkeit anstreben, und zwar möglichst bald, sollen nicht die eigentlichen Theater durch die Kinematographentheater vollständig ruiniert werden. Dass diese Befürchtung keine leere ist, ergibt sich daraus, dass gerade in der letzten Zeit eine Reihe von Bühnen sich in Kinematographentheater verwandeln mussten, um dem vollständigen Ruin zu entgehen. So z. B. das Komödienhaus in Frankfurt a. M. Eine Berliner Zeitung berichtete jüngst: "Mit Skowronneks 'Tugendhof' wurde gestern das 'Neue Theater' in Halle definitiv geschlossen. Das Theater stand seit der Gründung 1898 unter der Direktion Eugen Mauthners, der Ibsen und das moderne Schauspiel in Halle eingeführt hatte. Zahlreiche wertvolle Uraufführungen sind dem Theater zu verdanken. Es wird einem grossen Lichtspielhause Platz machen, so dass das moderne Schauspiel in Halle keine Stätte mehr hat. Zeichen der Zeit." Der Direktor des Stadttheaters in Naumburg, Max Günther, hat erklärt, dass er auch wegen der Kinematographentheater vor dem Ruin stünde, und daraufhin ist ihm eine Subvention von 4000 M. bewilligt worden. Im Neuen Königlichen Opernhaus sollen während der Sommermonate drei- [dreiaktige] oder mehraktige Films zur Darstellung gelangen. Im Residenztheater soll während des Sommers ein Kinematographenschwank "Die Flimmerkiste" zur Aufführung gelangen. In Berlin sollen zurzeit nicht weniger als 500 Kinematographentheater existieren. Breslau soll 30 haben. Direktoren kleiner Provinztheater haben erklärt, dass die billigen Plätze überhaupt nicht mehr verkauft würden, da das Publikum, das für sie in Betracht kam, in die Kinematographentheater abwandert. Die Theater haben noch nie so schlechte Geschäfte gemacht wie im letzten Jahr. Bei der Zahlung der Tantiemen haben Wechsel iu der letzten Saison eine nie geahnte Rolle gespielt. Das Tantiemeninkasso hat sich ausserordentlich schwer gestaltet. Zusammenbrüche haben in vorher nie dagewesener Häufigkeit stattgefunden. Darunter befanden sich alte uud bisher gut fundierte Unternehmen. Es sei z. B. auf den Zusammenbruch der Direktion Wolff in Quedlinburg hingewiesen. Nun mag ja der schlechte Geschäftsgang viele Ursachen haben, allein mit Recht hat ein ausgezeichneter Kenner des Theaterwesens, Max Epstein, in einem offenen Brief an den Herrn Oberregieruugsrat von Glasenapp die Kinematographentheater als den Krebsschaden bezeichnet.

Anstatt diesem Krebsschaden entgegenzutreten, hat die Gesetzgebung und die Rechtsprechung die Kinematographentheater bisher begünstigt. Das einzige, was bisher geschehen ist, war die Besteuerung der Kinematographen durch die Gemeinden, so jüngst z. B. durch Schöneberg. Auch ist eine neue Bauordnung für die Kinematographen in Aussicht genommen, aber noch nicht in Kraft. In diesem Zusammenhange sei auch darauf hingewiesen, dass die ausländische Filmindustrie die inländische weit überflügelt hat. Der geringe Zoll vermochte diese Entwicklung nicht zu hindern, ganz abgesehen davon, dass eine Reihe ausländischer Filmfabriken iu Deutschland Filialen errichtet haben, um den Zoll zu sparen. Nach den Angaben Sachkundiger sollen sich besonders die ausländischen Films durch ihre Roheit auszeichnen, und merkwürdigerweise soll diesen ausländischen Films gegenüber die Zensur viel lascher gdhandhabt werden wie gegenüber inländischen. Von den gesetzlichen Erfordernissen, die nach dem jetzigen Stand der Gesetzgebung der Schauspielunternehmer erfüllen muss, ist der Unternehmer eines Kinematographenunternehmens befreit. Gemäss dem § 32, Abs. 1 der Reichsgewerbeordnung bedürfen Schauspielunternehmer zum Betrieb ihres Gewerbes der Konzession. Nach dem Absatz 2 ist die Erlaubnis zu versagen, wenn der Nachsuchende den Besitz der zu dem Unternehmen nötigen Mittel nicht nachzuweisen vermag, oder wenn die Behörde auf Grund von Tatsachen die Überzeugung gewinnt, dass er die zu dem beabsichtigten Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit, insbesondere in sittlicher, artistischer und finanzieller Hinsicht nicht besitzt.

Ebenso bedarf derjenige der Erlaubnis, der gewerbsmässig Singspiele, Gesangs- [Gesangsvorträge] und deklamatorische Vorträge, Schaustellungen von Personen oder theatralische Vorstellungen, ohne dass ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft dabei obwaltet, in seinen Wirtschafts- [Wirtschaftsräumen] oder sonstigen Räumen öffentlich veranstalten oder zu deren öffentlicher Veranstaltung seine Räume benutzen lassen will. Diese Erlaubnis ist nur dann zu versagen:

  1. wenn gegen Nachsuchenden Tatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, dass die beabsichtigten Veranstaltungen den Gesetzen oder guten Sitten zuwiderlaufen werden;

  2. wenn das zum Betriebe des Gewerbes bestimmte Lokal wegen seiner Beschaffenheit oder Lage den polizeilichen Anforderungen nicht genügt;

  3. wenn der den Verhältnissen des Gemeindebezirks entsprechenden Anzahl von Personen die Erlaubnis bereits erteilt ist.

Alle diese Kautelen fallen nach dem jetzigen Stand der Dinge für die Unternehmer von Kinematographentheater weg.

Sehr wohl liesse sich der § 32 anwenden. Denn auch der Unternehmer eines Kinematographentheaters, in welchem Dramen vorgeführt werden sollen, ist ein Unternehmer von Schauspielen, ein Schauspielunternehmer. Und dass bei den kinematographischen Dramen ein höheres Interesse der Kunst nicht obwaltet, vermag sie dieser Bestimmung des § 32 nicht zu entziehen. Denn nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts vom 15. Mai 1902 bedarf auch derjenige der Erlaubnis aus § 32, der solche Schauspiele ohne höheren Kunstwert aufführt. Denn dass unter Schauspielen in dem Sinne der Vorschrift nur solche zu verstehen sind, bei denen lebende Personen unmittelbar als handelnde dem Publikum sich zeigen, sagen die Worte des Paragraphen nicht. Und da die Kinematographenspiele auch Wirkungen auf die grosse Masse üben, und diese als Öffentlichkeit vor gefährlichen Einflüssen zu schützen ist, so wäre § 32 auf sie aus dem gleichen inneren Grunde anzuwenden wie auf die eigentlichen Theater.

Allein die Rechtsprechung scheint keine Neiguug zu haben, den § 32 auf die Kinematographen-Theaterunternehmer anzuwenden; wohl auch aus dem Grunde, weil zur Zeit des Erlasses der Vorschrift die Kinematographentheater nicht existierten. Allein sie bestanden auch nicht zur Zeit des Erlasses des § 33 b, und doch wird diese Bestimmung auf sie bezogen.

Während die Anwendung des § 32 immerhin Zweifel begegnen könnte, ergibt sich die Anwendbarkeit des § 33 a eigentlich von selbst. Denn die dramatischen Vorstellungen der Kinematographentheater sind ganz gewiss "theatralische Vorstellungen". Das ist oben bereits ausgesprochen und begründet worden. Dass bei diesen Vorstellungen, die sich lediglich an eine oberflächliche Schaulust wenden, ein höheres Interesse der Kunst nicht mitspricht, bedarf keines Hinweises. Trotzdem hat das Oberverwaltungsgericht im Urteile vom 11. Mai 1903 entschieden, dass die Vorführung eines Kinematographen keine theatralische Vorstellung im Sinne des § 33 a wäre. In dem Urteil heisst es: "Von den in § 33 a der Reichsgewerbeordnung genannten Singspielen, Gesangs- [Gesangsvorträgen] und deklamatorischen Vorträgen ist im vorliegenden Fall keine Rede. Die sodann aufgeführte Schaustellung von Personen setzt voraus, dass Menschen in Natur sichtbar gemacht werden, was hier ebenfalls nicht zutrifft. Endlich fällt die Vorführung auch nicht unter die dort genannten theatralischen Vorstellungen. Dies wird schon dadurch ausgeschlossen, dass es sich bei den Kinematographen um eine nur bildliche Darstellung handelt, eine solche aber zu den theatralischen Vorstellungen in keinem Falle gerechnet werden kann. Überdies ergibt sich die Unzulässigkeit einer über den Wortsinn herausgehenden Auslage des Begriffes der theatralischen Vorstellung daraus, dass die in der Gewerbeordnungsnovelle vom 1. Juli 1883 eingeschalteten Worte 'und andere', wonach 'theatralische und andere Vorstellungen' der Genehmigungspflicht unterliegen, gleichwie die in dem Gesetzentwurfe noch weiter enthaltenen Worte 'und sonstige Lustbarkeiten' gestrichen worden sind.

Warum eine bildliche Darstelluug, bei der die einzelnen schnell aufeinanderfolgenden Bilder, durch eine Kombinationsidee verbunden, eine Handlung abrollen, in keinem Fall zu den "theatralischen Vorstellungen gerechnet werden kann", ist vom Oberverwaltungsgericht nicht dargetan worden. Sie ist allerdings eine theatralische Vorstellung. Denn wie anders könnte man sie überhaupt in unserem Zusammenhang nennen? Die Auslegung hält sich also durchaus im Rahmen des Wortsinns, wenn sie die dramatischen Vorstellungen der Kinematographentheater als theatralische bezeichnet. Damit fällt auch ohne weiteres das zweite, rein formalistische Argument des Oberverwaltungsgerichts, denn wenn diese Vorstellungen unter theatralische fallen, dann ist es gleichgültig, dass die Worte "und andere" gestrichen wurden.

Gegen dieses Urteil hat sich Professor Cohn, Zürich, in seinem Vortrag über Kinematographenrecht mit folgenden ausgezeichneten Ausführungen gewandt,

"Was aber bedeutsam ist, und nicht nur für die Konzessionspflicht, sondern auch für das Privatrecht, das ist die Frage, ob es sich bei den Kinematographen denn wirklich immer um eine rein bildliche Darstellung handelt. Das dürfte doch wohl für die zahlreichen Vorführungen zu verneinen sein, in denen nicht Naturerscheinungen, sondern menschliche Handlungen vorgeführt werden. Freilich sind die einzelnen Teile des Films Bilder, aber durch die rapide Projektion verschmelzen sie in unserer Vorstellung eben zu einer Bewegung, zur Vorstellung einer vor uns sich vollziehenden Handlung.

Diese Bewegung ist es, die der rein bildlichen Darstellung sonst abgeht. Sie ist es, die das an die Wand geworfene Bild zum 'lebenden Bild', zur 'scène animée' gestaltet. Diese Belebung, diese ist es, die das Bild zur theatralischen Vorstellung erhebt. Gewiss, die Handlung ist nur eine scheinbare; wir unterliegen der Sinnestäuschung, der Illusion; aber im Effekt, vom Standpunkt des Zuschauers, ist es doch nicht anders, als sähe er leibliche Menschen vor sich und sähe sie handeln. Und eine wirkliche Bewegung, eine wirkliche Handlung muss ja vorausgegangen sein, damit sie kinematographisch unserer Netzhaut wieder vorgespiegelt werden kann. Es gilt wohl das gleiche, was vom Phonographen so treffend von Leo Eger gesagt worden ist. Wie man es nämlich beim Phonographen als 'unerheblich' ansehen muss, 'ob die Schallwellen aus dem Munde des Virtuosen unmittelbar in das Ohr des Hörers gelangen, oder ob sie auf ihrem Wege durch den Phonographen aufgehalten und erst nach einiger Zeit wieder erzeugt und weitergesandt werden', so scheint es auch bei dem Kinematographen unerheblich, ob die Lichtwellen unmittelbar von der handelnden Persönlichkeit zu unserem Auge gelangen, oder ob sie auf ihrem Wege durch den Film aufgehalten und erst nach einiger Zeit, neugeweckt durch die beschleunigte Projektion, als Handlung weitergesandt werden.

Wenn das Urteil des Oberverwaltungsgerichts nun auch unzutreffend ist, so ist es doch eben ergangen, und es regelt den gegenwärtigen Rechtszustand. Seine präjudizielle Wirkung ist um so grösser, als auch das Kammergericht sich in zwei Entscheidungen dem Standpunkt des Oberverwaltungsgerichts angeschlossen hat. Auch in der Verfügung des Ministers des Innern, betreffend kinematographische Vorführungen aus der biblischen Geschichte des Alten und des Neuen Testaments, vom 14. Februar 1908 werden kinematographische Vorführungen aus der biblischen Geschichte nicht als theatralische Vorstellungen im Sinne der Erlasse vom 8. Oktober 1875, 30. November 1897, 19. April 1901 betrachtet und bedürfen deshalb nicht einer besonderen ministeriellen Genehmigung. Ebenso ist den Kinematographentheatern die Vorführung regierender Herrscher aus dem Hause der Hohenzollern gestattet, während sie den Theatern verboten ist.

Die Vorführung eines Kinematographen ist bisher lediglich unter die Vorschrift des § 33 b der Reichsgewerbeordnung gestellt worden. Das Oberverwaltungsgericht hat die kinematographische Vorstellung als eine Schaustellung, eine Lustbarkeit im Sinne dieser Vorschrift bezeichnet. Die Vorführung eines Kinematographen also von Haus zu Haus oder auf öffentlichen Wegen, Strassen, Plätzen bedarf der vorhergehenden Erlaubnis der Ortspolizeibehörde. Beim Gewerbebetrieb im Umherziehen ist weiterhin ein Wandergewerbeschein gemäss § 55, Ziffer 4 und gemäss § 60 a die Erlaubnis der Ortspolizeibehörde des Ortes, an dem das Gewerbe ausgeübt werden soll, erforderlich. (Vgl. Cohn, Anm. 67, Hofmann, Gewerbeordnung, § 33 b, Anm. 5.)

Mit dieser Vorschrift ist selbstverständlich nicht das geringste getan, da die Kinematographenunternehmungen in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ihre eigenen festen Lokale haben und damit der Vorschrift des § 33 b nicht unterliegen.

Danach kommt man zu dem Resultat, dass die Kinematographentheater von allen denjenigen Erschwernissen der Reichsgewerbeordnung, denen die eigentlichen Theater unterliegen, befreit sind.

Die Theater sind der Zensur unterworfen, und zwar durch die Polizeiverordnung vom 10. Juli 1851, betreffend die öffentlichen Theater- [Theatervorstellungen] und ähnliche Vorstellungen, welche durch die Polizeioerordnung vom 5. Mai 1906 ergänzt und auf den Landespolizeibezirk Berlin ausgedehnt worden ist. Nicht nur in Preussen, sondern in sämtlichen Bundesstaaten besteht die Präventivzensur für die eigentlichen Theater. Dagegen ist für die Kinematographentheater die Präventivzensur in diesem Umfange nicht eingeführt. Die Zulässigkeit der Präventivzensur für die Vorstellungen der Kinematographentheater wird von der herrschenden Meinung zu Recht bejaht. Die Zweifel, die sich aus dem § 1 der Reichsgewerbeordnung, also aus dem Prinzip der Gewerbefreiheit, aus dem Artikel 27, Abs. 2 der Preussischen Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850, dem § 1 des Reichspressgesetzes vom 7. Mai 1874 ergeben könnten, sind mit zutreffenden Gründen widerlegt worden. Es sei in dieser Hinsicht auf den Aufsatz von Hellwig, "Die Kinematographenzensur", verwiesen. Auch Cohn hat sich für die Zulässigkeit der Präventivzensur ausgesprochen, ebenso Werth. Das Oberverwaltungsgericht hat sich in der Entscheidung vom 21. Juni 1909 für die Zulässigkeit der Präventivzensur gegen die Kinematographentheater ausgesprochen. Ungeachtet dessen fehlt es in Preussen an einer allgemeinen Kinematographen-Präventivzensur. In der Verfügung des Minister des Innern betreffend die Sicherheit in Kinematographentheatern vom 13. Januar 1908 heisst es: "Die Berichte auf den Erlass vom 17. Juni 1904 bestätigen in Verbindung mit den in der Zwischenzeit gemachten Erfahrungen einerseits die Feuergefährlichkeit der kinematographischen Vorführungen und andererseits die vielfach höchst bedenkliche ethische Wirkung dieser Darstellungen, insbesondere auf jugendliche Zuschauer. Bei der Verschiedenheit der örtlichen Verhältnisse erscheint jedoch die Aufstellung allgemein gültiger Vorschriften für die polizeiliche Beaufsichtigung der Kinematographen nicht zweckmässig. Es wird vielmehr den Provinzialbehörden und eventuell den örtlichen Polizeiverwaltungen überlassen bleiben müssen, die erforderlichen Massnahmen zur Wahrung der Betriebssicherheit und zur Verhinderung aller vom Standpunkte der öffentlichen Ordnung, insbesondere der öffentlichen Sittlichkeit aus anstössigen und ungeeigneten Darbietungen den besonderen örtlichen Verhältnissen entsprechend selbständig zu treffen.

Im Jahre 1910 bestanden nach der Tabelle von Werth Zensurpolizeiverordnungen für den Regierungsbezirk Schleswig, Berlin, Braunschweig, Bremen, Danzig, Düsseldorf, Essen, Leipzig, München, Remscheid, Strassburg, Stuttgart. Dass die Präventivzensur gerade für die Kinematographentheater dringend notwendig ist, wird allgemein ausgesprochen. Cohn schreibt darüber: "Was vom gesetzgeberischen Standpunkt zugunsten der Theaterzensur angeführt werden kann, gilt in noch höherem Grade für die Kinematographentheater; denn ihr Repertoire wird noch weit mehr als dasjenige der hohen Kunstinstitute durch den Charakter der gewerblichen Unternehmung beherrscht, und ihr Publikum ist infolge der niedrigen Eintrittspreise hauptsächlich aus weniger gebildeten und daher leichter zu bestimmenden Personen zusammengesetzt.

Ganz ähnlich spricht sich Hellwig aus: "Dass durch die Kinematographentheater die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit ebenso leicht gefährdet wird wie beim Theater, ja noch weit leichter, da die üblichen Kinematographenvorstellungen jedes höheren Interesses der Kunst und Wissenschaft entbehren, wegen ihres geringen Eintrittspreises breiten Bevölkerungsschichten zugänglich sind, insbesondere auch gerade von der sittlich am meisten gefährdeten Jugend besucht werden, und dass sie erfahrungsgemäss in der Regel auf die niedrigen Masseninstinkte spekulieren, sei bemerkt." In gleichem Sinne spricht sich Reichert in seinem Aufsatz "Beaufsichtigung der Kinematographen" aus. Werth sagt: "Es ist allgemein anerkannt, dass nicht die Förderung der geistigen Bildung, nicht die Erziehung zur sittlichen Reife der Zweck dieser sogenannten Kinematographentheater ist, dass vielmehr nur der Gelderwerb ihre Richtschnur bildet, den sie durch Darbietung pikanter und sensationeller Szenen zu mehren suchen, und nicht ohne Erfolg, wie die tägliche Erfahrung lehrt. Das Verderbliche derartiger Vorführungen wird zudem noch dadurch gesteigert, dass ihr Publikum sich bei der Billigkeit des Eintrittspreises hauptsächlich aus den Elementen des Volkes zusammensetzt, die solche minderwertigen Darbietungen infolge ihrer jugendlichen Unreife bzw. ihrer mangelnden Bildung kritiklos, ja sogar mit Genuss hinnehmen. Diese Gewerbebetriebe erfüllen also nicht nur nicht ein soziales Bedürfnis, sie arbeiten vielmehr den heute immer mehr sich betätigenden und zu fördernden Bestrebungen, auch den unteren Schichten des Volkes Sinn für das Schöne und Edle einzuflössen, direkt entgegen. Deshalb muss die Grundtendenz dieser Arbeit notgedrungen in der Aufforderung zum Kampf gegen diese üblen Auswüchse des Kinematographengewerbes bestehen, selbstverständlich aber auch nur gegen diese.

Die Präventivzensur muss insbesondere gegen die ausländischen Films gehandhabt werden. Während ein deutscher Film verboten wurde, der ein im Schnee verirrtes Kind vorführte, "weil man kleine Kinder nicht im Schnee herumlaufen liesse", wurden ausländische Films mit Hinrichtungsszenen und sonstigen Scheusslichkeiten durchgelassen. In diesem Zusammenhange sei darauf hingewiesen, dass, wie Werth mitteilt, die Filmfirma Pathé in Paris durch ihre über die ganze Welt verbreiteten Films eine systematische Deutschenhetze betreibe und z. B. frei erfundene Brutalitäten deutscher Soldaten aus dem Kriege 1870/71 zur Darstellung gebracht habe.

Der Einfuhrzoll, der auf den ausländischen Films liegt, ist ein viel zu geringer unter Berücksichtigung dessen, dass an einzelnen Films 30 - 40 000 M. verdient werden.

Die hohen Erträge, welche die Kinematographentheater abwerfen, machen diese zu einem besonders geeigneten Steuerobjekt für die Gemeinden. Werth teilt mit, dass z. B. Elberfeld im Jahre 1908 bereits durch diese Besteuerung eine Einnahme von 17 409 M., also 10% der Gesamteinnahme aus der Lustbarkeitssteuer, erzielt habe. Cöln sogar 13%. Es ist oben bereits darauf hingewiesen worden, dass Schöneberg eine derartige Steuer eingeführt habe. Auch in Bayern gibt es derartige Steuern. Diesem Vorgehen sollten sich alle Gemeinden anschliessen.

Die Gesetzgebung sollte ihr Augenmerk auch auf das Reklameunwesen richten, das durch die Kinematographentheater betrieben wird. Werth schreibt darüber: "Ich glaube, man geht nicht fehl, wenn man nicht zum geringsten darauf die grosse Anziehungskraft dieser Institute zurückführt. Abbildungen der groteskesten Art wechseln mit marktschreierischen Inschriften, die an und für sich allein geeignet sind, bei unreifen Personen eine ganz ungesunde Vorstellung von dem zu erwecken, was ihnen nachher bei der Vorführung der Bilder geboten wird, und sie dadurch zum Besuche anlocken. Obendrein wird dadurch oft auch das Strassenbild in einer Weise verunziert, die den Unwillen besserer, anständigerer Kreise hervorrufen muss, zumal diese Unternehmungen sich heutzutage leider auch in Stadtteile drängen, aus denen sie besser ferngehalten werden sollten. Es ist deshalb sehr vonnöten, dass gegen diesen Reklameunfug energisch eingeschritten wird." Dahinzielende Polizeiverordnungen sind bisher noch nicht ergangen. In allerletzter Zeit soll eine derartige Verfügung für Berlin erlassen worden sein.

Sind in einer Polizeiverordnung über die äussere Heilighaltung der Sonn- [Sonntage] und Feiertage theatralische Vorstellungen verboten, so fallen darunter die Vorführungen von Kinematographen nicht. Dies hat das Kammergericht entschieden. Es ist also erforderlich, den Begriff der theatralischen Vorstellung gesetzlich entweder dahin zu interpretieren, dass darunter auch die dramatischen Vorstellungen der Kinematographentheater fallen, oder aber es ist die Hinzufügung der Worte "oder kinematographische" gesetzlich zu bewirten.

Zweifellos steht der Polizeibehörde die Befugnis zu, den Beginn und das Ende der täglichen Vorstellungszeit zu regeln, wie Werth ausgesprochen hat. Soweit eine derartige Regelung noch nicht erfolgt ist, müsste sie alsbald geschehen.

Das gleiche gilt hinsichtlich von Verfügungen oder Verordnungen über das Verbot oder die Einschränkung des Besuches von Kinematographentheatern durch schulpflichtige Kinder. Die Zulässigkeit einer derartigen Verordnung hat das Oberverwaltungsgericht ausgesprochen.

Von allergrösster Bedeutung aber wären sehr strenge Vorschriften über die Bauordnung, welche die Kinematographentheater einzuhalten hätten. Die Gefährlichkeit, insbesondere die Feuergefährlichkeit dieser Betriebe ist eine allbekannte Tatsache und wird fortwährend durch Unglücksfälle, besonders Brände, dargetan. Die bestehenden Vorschriften der Sicherheitspolizei, insbesondere der Baupolizei, müssten von Grund auf umgeändert und verschärft werden. Unzulässig müsste es sein, dass in einfachen Läden Kinematographenvorstellungen stattfinden. In diesem Punkte stimmen die Schriftsteller, welche die Frage behandelt haben, überein. (Vgl. Cohn, S. 16, Anm. 56, Reichert, S. 471 Werth, S. 35 - 36.) Es sei darauf hingewiesen, dass ein spanisches königliches Dekret vorschreibt, dass Kinematographentheatergebäude völlig freistehen müssen. In dieser Beziehung kann man sich den Worten Cohns nur anschliessen: "Unseres Erachtens sollte Theater und Kino auch in dieser Beziehung mit gleichem Masse gemessen werden, und jede Vorschrift zur Abwendung der Feuersgefahr ist bei jedem von beiden Instituten nur mit Freude zu begrüssen, das Motiv sei welches es wolle.

Mit diesen Ausführungen sind die hauptsächlichsten Wege gekennzeichnet, welche die Gesetzgebung des Reiches und der einzelnen Bundesstaaten zu gehen hat, um das deutsche Volk vor der Gefahr der Kinematographentheater in Schutz zu nehmen. In dieser Beziehung begegnen sich die Interessen des Staates und der Allgemeinheit mit den Interessen derjenigen wirtschaftlichen Gruppen, die in ihrem Bestande unmittelbar durch die Kinematographenseuche bedroht sind. Dazu gehören in erster Linie die deutschen Bühnenschriftsteller. Der Verband deutscher Bühnenschriftsteller, dessen Mitgliederliste beigefügt wird, hat sich in der ausserordentlichen Generalversammlung vom 18. März 1912 einmütig gegen die Kinematographentheater in ihren Auswüchsen ausgesprochen. Er hat sich damit auf den gleichen Standpunkt gestellt wie der deutsche Bühnen-Verein und wie anscheinend auch die Deutsche Bühnengenossenschaft, die Vertreter also der Theaterunternehmer und der Schauspieler. Der Verband ist sich darüber klar, dass er mit dieser Stellungnahme vor allem ideellen Kulturinteressen dient. Denn diejenigen materiellen Verluste, welche die Bühnenschriftsteller durch den Niedergang der Theater erleiden, liessen sich schliesslich durch die schriftstellerische Tätigkeit für die Kinematographentheater ausgleichen. Allein die Mitglieder des Verbandes haben sich dahin ausgesprochen, dass der sogenannte künstlerische Betrieb der Kinematographentheater ein so roher und niedriger sei, dass die schriftstellerische Tätigkeit für diese Betriebe mit dem künstlerischen Gewissen sich nicht vereinigen lässt. Nach dem Beschluss der ausserordentlichen Generalversammlung sollen die Mitglieder verpflichtet werden, für die Kinematographentheater nicht mehr tätig zu sein. Gleiche Beschlüsse sind von den beiden anderen Körperschaften, vom Bühnenverein und der Deutschen Bühnengenossenschaft, ins Auge gefasst worden.

Zu dieser Selbsthilfe muss staatliche Hilfe treten. Der Gesetzgeber darf sich nicht darauf beschränken, nun den Unternehmern von Kinematographentheatern die gleichen gesetzlichen Vorschriften zu machen wie den Theaterunternehmern. Es müssen strengere Vorschriften insbesondere in baupolizeilicher Hinsicht aufgestellt werden. Der Unternehmer eines Kinematographentheaters müsste derselben Prüfung unterzogen werden, welcher die Gewerbeordnung den Theaterunternehmer unterwirft. Und eine derartige Vorschrift müsste auf die Unternehmer bestehender Kinematographentheater derart Anwendung finden, dass ihnen der Gewerbebetrieb untersagt werden könnte, wenn sie den gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht werden. Die Erteilung der Konzession muss von der Bedürfnisfrage abhängig gemacht werden. Eine dahinzielende Vorschrift könnte eine praktische Wirkung nur dahin haben, wenn sie mit rückwirkender Kraft versehen würde. Denn die vorhandenen Kinematographentheater überschreiten schon jetzt weit jedes berechtigte Bedürfnis. Auch die neuen baupolizeilichen Vorschriften müssten auf die bestehenden Unternehmungen angewendet werden können.

Der Verband stellt den gesetzgebenden Körperschaften seine Mitarbeit in der von den gesetzgebenden Körperschaften beliebten Form bereitwilligst zur Verfügung.

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