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#4773

Berliner Börsen-Courier, 01.01.1914, Nr. 1

Erinnerung an Josef Giampietro

Aus Wien wird uns geschrieben: Der jähe Heimgang Josef Giampietros hat auch in Wien in Künstlerkreisen und überall, wo man sich für das Theater interessiert, schmerzliche Teilnahme hervorgerufen. Obgleich der Schauspieler seit langem dem hiesigen Publikum entrückt blieb, man verfolgte doch seine Berliner Erfolge mit Befriedigung und hoffte immer auf eine Wiederkehr zu einer Wiener Schauspielbühne. Giampietro entstammte einer Familie, die aus Friaul nach Wien gekommen war; sein Grossvater übte das Schornsteinfegergewerbe aus. Die Wiener Rauchfangkehrer sind alle fremdländischen Ursprungs, die hier ihre zweite Heimat finden. Als Emerich von Bukovics das Deutsche Volkstheater begründen half, holte er Josef Giampietro von dem Sommertheater in Karlsbad, das die Wiener Bühnen schon oft mit starken Begabungen versorgt hat. Giampietro trat rasch in die erste Reihe. Er wirkte zunächst im Volksstück und erregte Aufmerksamkeit, als er Gelegenheit bekam, mit Helene Odilon, Adele Sandrock und Rudolf Christians, dann mit Rosa Retty und Robert Nhil im Konservationsstück sich hervorzutun. Das war die goldene Volkstheaterzeit, die nie mehr erreicht wurde. Ganz besonders in den Komödien von Roberto Bracco gewann Giampietro die Sympathien der Theaterbesucher. In dem Lustspiel "Untreu" von Bracco machte der elegante Bonvivant von sich reden, als er in der Maske eines stadtbekannten Schriftstellers auf der Szene erschien und den müden, lässigen Ton und die kühle Gelassenheit der damaligen "Hypermodernen", die im "Café Grössenwahn" ihr Konventikl hielten, in den Dialog der Komödie hineintrug. Seine Gattin, die einstige Naive Ehrau, wählte er aus der Kolleginnenschar im Volkstheater. Sie war eine reizende, kleine Dame mit soigniersten Manieren, die sofort nach ihrer Verheiratung der Bühne Adieu sagte. Allgemeines Bedauern rief Giampietros Scheiden aus seinem Wiener Wirkungskreise hervor. Sein Abgang überraschte, weil es hiess, es sei für ihn ein Weg zum Burgtheater vorbereitet. Eine Intrigue verhinderte sein Engagement für die Hofbühne ... Vor zwei Jahren begrüsste das Publikum den unvergessenen Künstler in der "Parisiana", einer Sommerbühne des "Kaisergarten". Merkwürdigerweise blieb das Gastspiel ohne Zulauf, und Giampietro löste vorzeitig seine Verpflichtungen, angeblich deshalb, weil Direktor Steiner mit der Zahlung der grossen Gage in Stockungen geriet. Der in seines Schaffens Fülle vom Tode ereilte Künstler wird seine letzte Ruhestätte auf dem Hietzinger Friedhof finden, wo auch die sterblichen Überreste von Charlotte Wolter und Emerich Robert ruhen.

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