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Die Volksbildung, 1919, 12 Jg. XLII, Nr.4, S.63-64

[Die Volksbildung 191912 Jg.XLII, Nr.4, S.63-64 Sohnrey, ...]

Die Volksbildung 191912 Jg.XLII, Nr.4, S.63-64

Sohnrey, Friedrich: Das "dunkle" Kinematographentheater.

Ich ging einmal über unseren Friedhof. Er streckt sich so schön unter schattigen Bäumen noch eine kleine Anhöhe hinauf, wie man es sonst selten in um Berlin findet. Da begegnete mir eine Arbeiterfamilie; Vater, Mutter und ein etwa 5jähriger Sohn. Sie waren in Trauer, und die Mutter weinte. Der Junge hing nörgelnd am Kleid: "Mutta wa woll'n in 'n Kientopp!

So ein kleiner Kerl versteht noch nicht viel von der Welt; man kann nicht erwarten, dass er schon die Trauer der Eltern um ein verstorbenes Brüderlein oder Schwesterlein nachfühlt. Aber doch ist es sonst anders gewesen. Vielleicht hätte er früher schon die Poesie der Dämmerstunde geahnt, vielleicht etwas von einem Spaziergange mit den Eltern nach Feierabend gewusst oder von einem fröhlichen Spiel mit den Nachbarskindern. Woher kommt nur die so unendlich viele Kinderherzen immerfort quälende Sehnsucht nach dem Kino? Was ist 's in dem Lichtspieltheater, was so viel Menschen dorthinzieht? Unter den mancherlei Anziehungskräften, die das Kino in seiner heutigen Form besitzt und kraft deren es besonders auf die unteren Volksmassen, wie denn überhaupt auf die geistig noch nicht reifen, halbgebildeten Teile alle Bevölkerungsschichten so intensiv wirkt, ist eine bisher noch nicht in ihrer vollsten Wirkung erkannt worden. Erst ein Mann der Praxis, der Erfinder des Kinematographentheaters, Edison, hat bei den zahlreichen Interviews, die er bei seinem Aufenthalt in Deutschland den Zeitungsreportern gab, u. a. einmal darauf hingewiesen; ich meine die Dunkelheit, in die während der ganzen Vorstellungszeit das Theater gehüllt ist. Er sagte da ungefähr: Es sei heut nicht mehr nötig, den Theaterraum dunkel zu halten; die Filmtechnik sei soweit vorgeschritten, dass die Bilder auch in einem hellen Raume deutlich sichtbar würden, und dass darum in Amerika die Dunkelhaltung des Theaters verboten sei. Als ich das las, wurde es mir klar, dass hierin das Mittel verborgen liege, mit einem Schlage das Kino von allem Unsauberen zu befreien. Es ist keine Prüderie, die mich hier die Dunkelheit als das Gefährliche sehen lässt, - gewiss nicht. Aber man darf nicht unser künstlerisches Theater mit dem Lichtbildtheater vergleichen. Ihrer beider Aufgaben liegen auf ganz verschiedenen Gebieten. Darum müssen auch die Mittel, mit denen sie ihre Wirkung zu erzielen versuchen, verschiedene sein. Dem Kinematographen würde in seiner Idealform, die vielleicht von einer weiseren Zukunft erreicht wird, hauptsächlich die Wiedergabe von darstellungsfähigen Ergebnissen der Wissenschaft zufallen; wir müssen also im Kinematographen nach seinen natürlichen Vorbedingungen ein wissenschaftliches Theater zum Zwecke der Volksbildung sehen. Zur Unterhaltung sind dem Kinematographen noch Mittel und Wege genug gegeben, von den Tagesereignissen herab bis zu den humoristischen Films von so und soviel Meter Länge, in deren Erfindung das Kino wunderbare Dinge zu Tage gefördert hat. Dagegen wird das ernste Drama immer nur vom lebenden Theater wirken können. Die Dunkelhaltung, die das Theater zum Zwecke der Wirklichkeitsvortäuschung und Erzielung von Effekten braucht, hat das Kino auch sonach nicht nötig.

Der Kinematograph ist heute in der Hauptsache ein Volkstheater, im besonderen ein Kindertheater. Dass hier einmal wirklich berechtigt Zensur, schliesslich das Gesetz herrschen muss, weil es um nie wieder gut zu machende erziehliche Werte handelt, darüber ist sich wohl jeder einsichtige Mensch klar, dem das Wohl und Wehe unserer Jugend am Herzen liegt. Wer es tagtäglich mitansehen muss, wie gerade sich Kinder vor den Eingängen drängen, mit welcher Macht sie allabendlich da hereinstürmen, ob reich oder arm, und wenn man dann andererseits anzeigen folgender Art liest: "Sündige Liebe", "Versuchungen der Grossstadt" "Die Ballhaus-Anna", "Jugendsünden" u. a. mit den schrecklichen, genügend auf den Inhalt deutenden Bildern, den Programmen in französischer Sprache, ja, wie die Vorstellungen, wie die Schauspieler meist französisch sind, der muss sich nach einem Radikalmittel sehnen, das all diesem Getriebe eine Ende macht. Aber nicht nur die Theater bieten schlechten, verderbenden Stoff; die Dunkelheit in dem Raume veranlasst - bekanntermassen -, dass gerade die unsaubersten Elemente dort ihr Lager aufschlagen. Und sie müssen wahrlich gute Leute finden, so zahlreich und so regelmässig sind sie dort zu finden. Das Zusammentreffen von lüsternen Unterhaltungsstoffen und dem dunklen Raume mit einem grossen Teile lüsterner Menschen machen das heutige Kinematographentheater zu einer künstlich gehegten und gepflegten Brutstätte, von der aus das Laster seinen Anfang nimmt. Wollte man versuchen, das Volk auf irgend eine Weise, die Kinder z. B. in der Schule, die Älteren in der Fortbildungsschule, dahin aufzuklären, wie schädlich, wie vergiftend die Vorführungen auf unentwickelte Gemüter wirken müssen, man würde wohl kaum auf irgend einen Erfolg erzielen. Nach meinen Beobachtungen hat man beim Kinematographen eine gleiche Auffassung vom Schunde beim Volke zu bekämpfen, wie bei der Schundliteratur in Bezug auf Fabrikation und Konsumtion, auf Fabrikanten und Publikum allerlei Parallelen ziehen lassen. Die Grossstadtmenge steht, -- ob parteisozialdemokratisch oder nicht -- unter dem Zeichen der Verneinung alles bestehenden Guten. Aus der Verhetzung ist allgemach eine Verbitterung entstanden, die die ihr verfallenen Menschen in dem Wahne gefangen hält, als sei alles Gute und Edle, das wir im Leben haben, nur für die Wohlsituierten prädestiniert. Allmählich ist es ihnen so zur Gewohnheit geworden, dass sie alles, was heute in der Kunst von den Gebildeten genossen wird, als für sie unerreichbar angesehen; sie wollen aber auf ihren Genuss daran nicht verzichten und halten sich nun an die Schundliteratur und den Kientopp als an das für sie Geschaffene. Weil zum Überfluss Kinematograph und Schundliteratur noch von verschiedenen Seiten bekämpft werden, halten sie sie, - was sie aus Politik gelernt, - für etwas Oppositionelles. Nun erst recht! So sieht der gewöhnliche Mann nicht mehr das Schlechte, sondern nur die Opposition. Schlecht und Opposition nehmen in seinem Unterbewusstsein die gleiche Bedeutung an. So wird das Schlechte und Oberflächliche zur täglichen Kunstnahrung unserer Grossstadtbevölkerung, deren Befriedigung sie allein in Berlin in über tausend Lichtspieltheatern frönen kann. Darum aber ist hier wie in der Schundliteratur eher keine Besserung zu erwarten, ehe nicht gesetzliche Mittel den Unverstand des Volkes zu meistern und in rechte Bahnen zu leiten wissen.

Man könnte einwerfen, der Kinematograph soll ein Kulturfaktor werden, deshalb dürfen wir die Leute nicht mit Gewalt hinaustreiben. Nein! aber das Kino im Privatbesitz irgend welcher Leute, die davon auf jede Weise ihren Unterhalt nehmen müssen, wird nie ein Kulturfaktor im erzieherischen Sinne werden. Schulen, Bildungsvereine, Gemeinden als Besitzer oder Veranstalter, und dann Vermittlung von guten Stoffen! Was heute geboten wird, ist wahrhaftig der Erhaltung nicht wert. Wenn auch ein paar Besitzer zu Grunde gingen, - um der gesamten Jugend willen. Sonst wächst eine Kindheit auf, die durch die Menge der gesehenen "Lebensbilder" von klein auf innerlich vergiftet ist, nicht aber abgeschreckt oder aufgerüttelt, wie manche glauben machen möchten.

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