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Akademische Monatshefte, 1913, Bd. XXIX, S.381

Scheffer, Ludwig
Eine Kinomensur

Durch die Tagespresse geht eine Mitteilung von einer Säbelmensur, die Heidelberger Landsmannschafter gegen Bezahlung für ein Filmdrama kinematographisch aufnehmen liessen. Es handelte sich dabei nicht etwa um ein sogenanntes Paukbild, sondern um eine ernsthafte Mensur, bei der Blut floss und Mitglieder desselben Bundes sich gegenüberstanden. Andere Angehörige derselben Landsmannschaft gruppierten sich zu malerischer Staffage um die Paukanten und bewiesen dadurch, dass die Landsmannschaft den Vorgang wenigstens duldete, wenn sie ihn nicht selbst ins Werk gesetzt hatte. Der auf Veranlassung der beiden anderen Heidelberger Landsmannschaften nach Leipzig berufene Kongress des Koburger LC. fand ein derartiges Vorgehen einer schlagenden Verbindung ungeheuerlich und schloss die schuldige Landsmannschaft auf vier Semester aus dem Verband aus. Tragikomisch ist noch, dass sich jetzt die Filmgesellschaft weigert, die vereinbarten 500 Mk. für jeden der Paukanten auszuzahlen.

Die "Dortmunder Zeitung" äussert sich über diesen Fall u. A.:

Es wird so viel über den umsichgreifenden Materialismus unserer Zeit geklagt. Man hört von der rücksichtslosen Unersättlichkeit der Arbeiter sprechen, man wirft sogar dem Bunde der Landwirte gefährlichen Egoismus vor, man wehrt sich gegen die Umwandlung der politischen Parteien in reine Interessentengruppen: und da gibt nun die gebildete Jugend das Beispiel eines solchen Handels, wo sie das, was sie sonst mit unter ihre heiligsten Güter und Vorrechte rechnet, für ein paar lumpige blaue Scheine dem Spott preisgibt. Dass man für das Blamable einer solchen Handlung in einer Landsmannschaft kein Gefühl gehabt hat, darin liegt das Bedenkliche und Bedauerliche. Es ist das ein Beweis, wie weitgehend das sittliche Urteil in unseren Tagen sich schon vergröbert hat. Unter der allgemeinen Hetzjagd nach Gewinn und Verdienst ist eine reissende Strömung in unserem Volksleben entstanden, die auch diejenigen mit sich zieht, die eigentlich als Hüter einer edleren Gesinnung berufen wären.

Die Heidelberger Kinomensur ist wohl für jeden alten Waffenstudenten das Schmerzlichste, was er von Auswüchsen des Studentenlebens gehört hat. Die Befürchtung, dass sich eines Tages Korporationen finden würden, die eine Mensur für eine Kinoaufnahme lieferten, habe ich schon lange gehegt und sicher mancher, der ständig die Entwicklung unseres heutigen Studentenlebens verfolgt. Als ganz besonders erschwerend kommt im vorliegenden Falle hinzu, dass es sich um zwei Angehörige derselben Korporation handelt, die gegeneinander fochten und dass die Betreffenden gegen Geld ihre "Mensur" gefochten haben. Es ist unnötig, auch nur ein Wort zur Kennzeichnung dieser Handlungsweise zu verlieren.

Ich bedaure sehr, dass der Fall sich gerade jetzt ereignet hat. Wir haben uns soeben mit den anderen Waffenverbänden zusammengeschlossen, in vielen Kreisen sieht man diesem Zusammenschluss mit Misstrauen, zum Teil mit Missvergnügen zu. Den Gegnern des Fortschritts wird es Wasser auf die Mühle sein und manche Stimme wird laut werden: seht, mit solchem Verband habt Ihr Euch zusammengeschlossen. Zum Pessimismus ist m. E. ebensowenig Veranlassung wie zur Selbstüberhebung. Die Landsmannschaft hat gesprochen und sich einmütig gegen die Handlungsweise gewandt, wenn man auch bedauern kann, dass ihr Spruch nicht schärfer ausgefallen ist. Mit Rücksicht auf die anderen Verbände hätte sie vielleicht besser eine vollständige Trennung zwischen sich und der Heidelberger Cheruscia eintreten lassen. Wenn auch zu hoffen ist, dass dieser Fall sich nie wiederholt, so wäre es vielleicht doch angebracht, die das ganze Waffenstudententum betreffenden Fälle auch vor das Forum des Verbandes zu bringen. Es gibt sicher noch manche Auswüchse zu beseitigen.

Auch wir Korpsstudenten müssen uns sagen, dass manches noch verbesserungsbedürftig ist. Eine sehr wenig schöne Sitte ist die, sich in Mensurmütze, mit Wickel oder Kompressen photographieren zu lassen und das Aushängen der Bilder in Schaukästen zu dulden. Man kann es verstehen, wenn z. B. mehrere Korpsbrüder, die an einem Tage gefochten haben, die Erinnerung daran im Bilde festhalten wollen und sich zusammen typen lassen; wenn aber der Einzelne seinen verwickelten Kopf der Nachwelt überliefern zu müssen glaubt, so leidet er gerade nicht an verfeinertem Geschmack. In der Beziehung sollten die Korps mit gutem Beispiel vorangehen.

In anderer Weise haben die Korps ein gutes Beispiel gegeben (wenigstens in Marburg), das ich den anderen Verbänden sehr zur Nachahmung empfehlen möchte. Es ist in Marburg verboten, mit Gesichtswickel auf die Strasse zu gehen und zu Gesichtskompressen Mütze statt Mensurmütze zu tragen. Abgesehen davon, dass ein grosser Gesichtsverband schon an sich hässlich und unästhetisch wirkt, besonders auch von denen, die noch nicht mensurversimpelt sind (auch das kommt vor!), als abstossend empfunden wird, hat die Sache noch eine bedenkliche Seite. Leider ist die Schlägermensur immer noch nicht als straffrei anerkannt, sie wird aber geduldet. Wenn uns gegenüber die Behörden nachsichtig und entgegenkommend sind, können wir es nicht auch sein, indem wir durch Vermeiden alles Auffallenden nicht direkt herausfordern? Wenn das Publikum, das von Mensuren nichts versteht, einen Gesichtswickel sieht, meint es natürlich, es sei eine ganz besonders mörderische Schlacht geschlagen worden und macht die Polizeiorgane noch womöglich aufmerksam. Eine noch grössere Unsitte ist es, mit Verbänden in Konzerte oder Kurgärten zu gehen, wie ich es in Aachen vielfach beobachten konnte. Gerade in Städten, in denen die Mehrheit der Bevölkerung sich aus konfessionellen Gründen der Mensur gegenüber ablehnend verhält oder wo ein internationales Publikum sich ständig aufhält wie in Aachen, sollte man auch schon als Student Rücksicht auf die Gefühle anderer zu nehmen lernen.

Noch ein Wort über moderne Mensurphotographien. Man sieht sie häufig in den Schaufenstern in Universitätsstädten. Sie sind mit einem Worte scheusslich. Eine zusammengedrängte Menschenmenge, der Einzelne steif wie ein Baumstumpf, in der Mitte zwei eingewickelte Gestalten, durch die Paukbrille unkenntlich, die Schläger hochgehalten, es fehlt nur noch: bitte recht freundlich! Aber Kunst? Ja, die gab es mal auf alten Mensurbildern. Wer kennt nicht die schönen Bilder des Göttinger und Heidelberger S C., das berühmte Mensurbild Heinroth contra Bacmeister, diese Zierden jeder behaglichen Kneipe! Da ist alles Leben und kein Photographiegesicht, das waren die Zeiten der Studentenkunst! Und heute? Ja so, die Kinomensur.

Diese Glossen nebenbei von Ludwig Scheffer, Teut.-Marb.

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