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#3690

Prometheus., 1890, (Jg. II) Nr. 18, S. 283-285, Nr. 19, S. 289-290

[Prometheus. 1890 (Jg. II) Nr. 18, S. 283-285, Nr. 19, S. ...]

Prometheus. 1890 (Jg. II) Nr. 18, S. 283-285, Nr. 19, S. 289-290

Biegsame photographische Platten.

Wir haben unseren Lesern bereits von mehreren neuen Errungenschaften der Photographie, dieses neuesten und wichtigsten Hilfsmittels aller exacten Wissenschaften, berichtet. Wir dürfen daher nicht unterlassen, auf eine höchst bedeutsame Umgestaltung hinzuweisen, welche sich zur Zeit in der "schwarzen Kunst" vollzieht.

Es ist bekannt, dass die ausserordentliche Ausbreitung und Anwendbarkeit der Photographie erst möglich geworden ist durch den Ersatz des alten, sogenannten nassen Collodionverfahrens durch den modernen Trockenprocess. Während die alten Platten unmittelbar vor dem Gebrauch hergestellt und noch in nassem Zustande benutzt werden mussten, sind die modernen Gelatine-Bromsilber-Trockenplatten unbegrenzt haltbar und das auf ihnen durch die Lichtstrahlen entstandene Bild kann beliebig lange Zeit nach der Belichtung hervorgerufen und zu weiterem Gebrauch fertig gemacht werden. Der alte Process erforderte es, dass der Photograph zur Bereitung und Entwickelung seiner Platten stets eine transportable, als Laboratorium eingerichtete Dunkelkammer, ein sogenanntes photographisches Zelt, mit sich führte. Heute genügt zur Aufnahme, ausser der Camera, lediglich die überall käufliche Trockenplatte. So kommt es, dass man z. B. in England bereitete Trockenplatten in Indien belichten und erst nach der Heimkehr in Deutschland entwickeln oder durch Andere entwickeln lassen kann. Das ist keine geringe Bequemlichkeit, durch welche allein es möglich geworden ist, dass heutzutage fast jeder Reisende, er möge nun zu seinem Vergnügen oder im Dienste der Wissenschaft seine Wanderungen unternehmen, seinen photographischen Apparat mit sich führt und seine Erlebnisse bildlich in kürzerer Zeit aufzeichnet, als er vor wenigen Jahren noch zur schriftlichen Notirung gebraucht hätte.

Aber der Mensch ist niemals zufrieden. So freudig wir den ungeheuren Fortschritt anerkennen, den die Einführung der Trockenplatten bedeutet, so laut erschallt jetzt auch schon der Ruf nach weiterer Vereinfachung. Noch ist, namentlich für weitere Reisen, das Gewicht der mitzunehmenden Trockenplatten ein grosses Hinderniss. Auch in früheren Zeiten musste der Photograph ausser seinem Zelt eine grosse Menge von Glasplatten mitschleppen, welche noch dazu auf das Peinlichste geputzt sein und vor jedem Staub sorgfältig gehütet werden mussten. Aber einestheils war früher der reisende Photograph ein Fachmann, der bloss reiste, um zu photographiren, während man jetzt nebenbei photographiren will, wenn man reist; andrerseits schätzte sich damals der Photograph glücklich, wenn er zwei, auch drei Aufnahmen im Tage machen konnte, während es heute Leute genug giebt, die zwanzig, dreissig und mehr Aufnahmen im Tage machen wollen; ob lauter gute, wollen wir dahingestellt sein lassen. Jedenfalls bedingt diese grosse Productivität auch einen grossen Plattenvorrath und ein entsprechendes Gewicht und Volumen desselben, worüber die nachfolgenden Zahlen Aufschluss geben.

Nehmen wir an, Jemand wollte auf einer Reise 144 Platten vom Format 16x21,5 cm verbrauchen (was bei einem Verbrauch von bloss 6 Platten täglich nur für etwa 3 1/2 Wochen genügen würde), so wurde dieser Plattenvorrath bereits ein Gewicht von 38 kg repräsentiren und bei einigermaassen bedeutenden Entfernungen allein an Fracht als Passagiergepäck nahezu ebensoviel kosten, als er werth ist. Dazu kommt die Schwierigkeit, eine so grosse Menge dünner Glasplatten bruchsicher zu verpacken. Kurz, man muss mit einem Vorrath von Trockenplatten längere Zeit gereist sein, um zu wissen, wie lästig derselbe Einem selbst unter Benutzung der in civilisirten Ländern üblichen Verkehrsmittel werden kann. Wo aber diese aufhören, fängt die Misere des photographirenden Reisenden erst recht an. Bei der Benutzung von Saumpferden oder Maulthieren ist der Bruch vieler Platten gar nicht zu vermeiden. Bedient man sich aber menschlicher Träger (wie z. B. in der Schweiz und anderen Gebirgsländern, namentlich aber auf Forschungsreisen in Afrika und Süd-Amerika), so werden die Platten zwar sanfter behandelt, die Transportkosten für dieselben aber wachsen in 's Unerschwingliche.

Aus diesem Grunde hat man schon lange begonnen, auf Reisen nur Photographien kleinen Formates anzufertigen und diese, soweit nöthig, später zu vergrössern. Das Format 13x18 cm wird heute auf Reisen selten überschritten, noch häufiger aber die sogenannte Viertelsplatte von 9x12 cm gewählt. Die Detectivapparate führen meist noch kleinere Platten. Aber selbst in diesem Falle ist das Gewicht der mitzuführenden Platten noch immer ein grosses und Bruch keineswegs ausgeschlossen.

Diese Übelstände haben sehr bald nach Einführung und Verallgemeinerung des Trockenplattenprocesses die Frage nahe gelegt, ob man nicht das Glas als Träger der lichtempfindlichen Schicht durch andere, leichtere und weniger zerbrechliche Substanzen ersetzen könnte. Bedingung war natürlich, dass diese Substanzen entweder selbst lichtdurchlässig seien, oder doch erlaubten, das fertige, zu Hause entwickelte Bild nachträglich auf Glas zu übertragen, um so ein druckfähiges Negativbild zu erhalten. Der Amerikaner Eastman war es, der den Gedanken zuerst zur That machte, indem er Trockenplatten in den Handel brachte, deren Unterlage anstatt aus Glas aus dünnem Papier bestand. Papier ist, wenn auch nicht durchsichtig, so doch durchscheinend. Ein auf Papier erzeugtes Negativbild lässt sich daher ebenso wie ein auf Glas befindliches zur Herstellung eines Positivs benutzen, wenn man lichtempfindliches Papier unter demselben belichtet. Waren ja doch die ersten Negative von Fox Talbot sammt und sonders auf Papier hergestellt! Das Negativ konnte sogar noch viel lichtdurchlässiger gemacht werden, wenn man es nach dem Entwickeln des Bildes und Trocknen mit Öl oder Paraffin tränkte.

Durch die Einführung der Papier-Trockenplatten schienen alle die oben geschilderten Übelstände gehoben. Ja, Eastman ging noch einen Schritt weiter, indem er sein Papier in Rollen in den Handel brachte, deren Länge gleich für 24 Aufnahmen genügte. Bei Anwendung einer sinnreich, ebenfalls von Eastman construirten sogenannten Rollcassette konnte man gleich eine ganze Rolle Negativpapier in den Apparat bringen und durch allmähliches Abrollen des Papierstreifens gleich 24 Bilder hintereinander machen, ohne nur den Inhalt seiner Cassette wechseln zu müssen.

Bleiben wir bei dem oben gewählten Beispiel eines Plattenformates von 16x21 1/2 cm, so finden wir, dass 6 Eastman'sche Rollen zu je 24 Bildern dieses Formates blos 1 3/4 kg wiegen, was also den Glasplatten gegenüber eine Gewichtsersparniss von 36 3/4 kg bedeutet. Rollen im Gewicht von 1 3/4 kg verpackt man leicht in sein Handgepäck, sie kosten also gar kein Porto und sind ausserdem ganz unzerbrechlich.

Das goldene Zeitalter der Photographie schien gekommen. Aber die hinkenden Boten kamen nach.

Papier, selbst wenn es noch so fein ist, besitzt eine gewisse Structur, weil es aus Fasern zusammengesetzt ist. Diese Structur bildet sich beim Copiren solcher Negative stets mit ab, bei geöltem Papier sogar noch stärker, als bei ungeöltem, und die erzeugten Bilder erhalten ein maseriges Aussehen, welches unserm verwöhnten Geschmack nicht behagt. Zu Fox Talbot's Zeiten konnten solche Bilder genügen, wir verlangen die Klarheit, wie sie eben nur das Glas besitzt.

Trotzdem ist das Eastman'sche Negativpapier dauernd im Markte geblieben, da die etwas geringere Schönheit der Bilder durch die Bequemlichkeit ihrer Herstellung compensirt wird.

(Schluss folgt.)

Eastman ist jedoch bei diesem ersten Erfolg nicht stehen geblieben. Er hat versucht, dem erwähnten Mangel abzuhelfen durch Einführung seiner sogenannten "Stripping Films", eines Papiers, welches alle Eigenschaften des zuerst beschriebenen besitzt, von dem sich aber nach dem Entwickeln die das Negativbild enthaltende Gelatinehaut abziehen und auf Glas übertragen lässt.

Mit diesem Papier kann man also seine Aufnahmen in der geschilderten bequemen Weise machen, dieselben aber zu Hause in Glasnegative verwandeln, oder, was noch bequemer ist, die abgezogenen glasklaren Häute ohne Weiteres als Negative benutzen.

Leider hat auch dieses Verfahren seinen Haken. Das Abziehen der Häute ist nämlich eine recht difficile Operation, welche sehr häufig misslingt; dann ist das Negativ ganz verloren. Das Princip, nach dem dieses abziehbare Papier hergestellt ist, ist nämlich folgendes. Eastman überzieht sein Papier vor dem Aufgiessen der Bromsilbergelatine-Emulsion schon ein erstes Mal mit Gelatine, und zwar mit einer solchen, welche wesentlich "weicher", d. h. in warmem Wasser leichter löslich ist, als die zur Bereitung der Emulsion benutzte. Quetscht man nun das entwickelte Papiernegativ auf vorher mit Collodion übergossenes Glas, an welchem dasselbe anklebt, so kann man durch Eintauchen des Ganzen in warmes Wasser die weiche Gelatine zum Schmelzen bringen. Man zieht nun das Papier vorsichtig ab, wobei die Bildschicht auf dem Glase verbleibt. Es ist klar, dass diese Operation grosse Vorsicht erfordert; ist das Wasser zu warm oder der Photograph nicht sehr flink und geschickt, so schmilzt auch die das Bild enthaltende Gelatine und das Negativ ist verloren.

Aus diesem Grunde haben viele Photographen heute das Papier als Bildträger ganz verworfen und gesucht, eine andere, glasklare und doch biegsame, leichte Substanz als Unterlage für die lichtempfindliche Schicht aufzufinden.

Dieses Problem ist viel schwieriger, als man glauben sollte.

Einen entschiedenen Fortschritt in dieser Richtung bedeutet das in England patentirte Verfahren von Frödtmann, dessen Platten unter dem Namen Vergarafilms in den Handel gekommen sind. Dasselbe besteht darin, dass man Spiegelplatten mit Gelatine übergiesst, welche Kaliumbichromat enthält. Nach dem Trocknen werden die Platten 4 - 5 Stunden belichtet, wodurch die Gelatine ganz unlöslich wird. Nun übergiesst man mit der lichtempfindlichen Emulsion und löst nach dem Trocknen derselben die ganze Gelatineschicht vom Spiegelglas ab. Die erhaltenen papierdünnen Trockenplatten lassen sich in jeder Beziehung wie Glasplatten behandeln. Sie geben glasklare, tadellos durchsichtige Negative. Es scheint indessen die Herstellung dieser Platten im Grossen nicht leicht zu sein, so dass die Vergarafilms nur in geringen Mengen in den Handel gekommen sind. Wie wir hören, hat eine hervorragende deutsche Firma das Verfahren aufgenommen und so vereinfacht, dass sie im Stande sein soll, derartige Platten regelmässig zu erzeugen und demnächst in den Handel zu bringen, wodurch sie sich kein geringes Verdienst um die photographirende Menschheit erwerben würde.

In etwas anderer Weise hat Carbutt in Amerika das gleiche Problem zu lösen versucht. Er bringt Trockenplatten in den Handel, deren Unterlage aus dünnen Celluloidplatten besteht. Diese Platten sind zwar nicht glasklar, aber structurlos und durchscheinend genug, um gute Negative zu erzeugen. Es scheint indessen, dass sich die Bromsilberemulsion auf die Dauer nicht mit dem im Celluloid enthaltenen Camphor verträgt. Wenigstens haben sich alle bisher nach Europa gelangten Celluloidfilms als halb zersetzt erwiesen.

In Frankreich bedient man sich seit einer Reihe von Jahren vielfach der von Balagny erfundenen und nach einem geheim gehaltenen Verfahren hergestellten Negativhäute. Dieselben sind sehr dünn und zart, liefern tadellose Bilder und haben nur den einzigen Fehler eines ziemlich hohen Preises. Die Unterlage der Balagny-Platten scheint aus übereinander liegenden Schichten von Collodion und Chromgelatine zu bestehen, sie ist hornartig durchscheinend und structurlos. Die auf Balagny-Häuten hergestellten Negative drucken wesentlich langsamer als Glasnegative, geben aber klare, schöne Bilder.

Alle diese Platten haben vor Glas den Vorzug der Leichtigkeit und Unzerbrechlichkeit. Aber sie stehen hinter dem Eastman-Papier an Biegsamkeit zurück. Weder Vergara- noch Balagny-Häute gestatten ein Aufrollen in Rollcassetten, ein Verfahren, dessen Bequemlichkeit nicht zu unterschätzen ist.

Hier ist nun abermals Eastman eingetreten, indem er das Papier verlassen und eine Substanz erfunden hat, welche dünn, biegsam und fest wie Papier und dabei durchsichtig wie Glas ist. Wie er diese Substanz bereitet, ist nicht bekannt. Doch weiss man bereits, dass dieselbe aus einer Collodionhaut von bisher unbekannter Festigkeit besteht. Diese neuen Eastman'schen rollbaren Negativhäute sind bisher noch nicht nach Deutschland gelangt, während in England soeben die ersten Versuchsrollen angekommen sind. Wenn alles wahr ist, was man über diese neueste Erfindung hört, so dürfte endlich das Ideal der photographischen Trockenplatten verwirklicht sein; vorausgesetzt freilich, dass auch der Preis im Vergleich zu Glasplatten kein allzu hoher ist. Die biegsamen Trockenplatten können nur dann beanspruchen, die Glasplatten völlig zu verdrängen, wenn sie bei allen ihren Vorzügen auch im Preise dem Glase gleichstehen. Die Photographie ist zwar ein schöner, aber kostspieliger Zeitvertreib, dessen Ausübung nicht noch weiter vertheuert werden darf.

Eines Vortheils muss hier noch gedacht werden, den die dünnen biegsamen Platten vor Glas voraushaben, das ist die völlige Abwesenheit des sogenannten Lichtscheines. Bei sehr contrastreichen Bildern, namentlich bei Aufnahmen des Innern von Zimmern a. dgl., bemerkt man sehr oft, dass die hellen Objecte (z. B. die Fenster) von einem weissen Duft umgeben sind, der sich in die dunkle Umgebung hinein erstreckt. Es ist dies eine sehr hässliche Erscheinung, welche daher rührt, dass das helle Licht, durch Schicht und Glasplatte dringend, sich an der Rückseite dieser letzteren spiegelt und nun von rückwärts auf die empfindliche Schicht zurückgeworfen wird. Bei biegsamen Häuten kann dieser Fehler infolge ihrer sehr geringen Dicke nicht eintreten.

Aus der oben gegebenen Darstellung geht unter Anderm auch die merkwürdige Thatsache hervor, dass in Deutschland bis jetzt wenig oder nichts für den so wichtigen Ersatz des Glases durch biegsame Häute geschehen ist. Es ist dies um so auffallender, weil andere hochwichtige Neuerungen bei uns entweder erfunden oder doch fortgebildet worden sind. So verdanken wir die bewunderungswürdige Erfindung der farbenempfindlichen Platten H. W. Vogel, einem deutschen Gelehrten; auch die Photographie bei Magnesiumlicht hat bei uns ihre vollkommenste Ausbildung erfahren. Wir wollen hoffen, dass auch die Herstellung billiger, biegsamer, dünner, glasklarer Trockenplatten in Deutschland ihre Vertreter und die Ausbildung finden möge, welche sie zweifellos verdient.

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