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#3532

Photographische Mitteilungen., 1891, S. 51-53

[Photographische Mitteilungen. 1891, S.51-53 In Gauthier-Villars ...]

Photographische Mitteilungen. 1891, S.51-53

In Gauthier-Villars Verlag, Paris, der sich die Aufgabe stellt, in kleinen billigen, von guter Hand geschriebenen Einzelbändchen das Gesamtgebiet der Photographie zu publizieren, sind wiederum einige neue Werkchen erschienen, welche bei der Verbreitung der Kenntnis der französischen Sprache (1) auch in Deutschland Beachtung finden dürften. [Angaben zu einigen Werken.]

(1) Mit dem Verständnis des Englischen sieht es weniger gut aus, trotz unserer Seemachtstellung, unserm Handelsverkehr und der hohen Bedeutung der englischen wissenschaftlichen Litteratur. Wie wenig verbreitet die Kenntnis des Englischen ist, erkannten wir bei den Muybridge-Vorträgen. Ein Kritiker wollte sogar demselben ein "Hinterwäldlerenglisch

andichten, während die Berichte englischer Zeitungen über, seine in England gehaltenen Vorträge sein Englisch rühmten. Wer in San Francisco gewesen ist, weiss, dass dort überhaupt kein "Hinterwäldlerenglisch

gesprochen wird.

Repertorium.

Mr. Muybridge in Berlin und München.

Die Münchner "Neuesten Nachrichten" vom 17. April melden:

"Die Darstellung der Momente in der Bewegung von E. Muybridge führte gestern Abend im Odeonssaale einem grösseren Publikum seine Momentaufnahmen in Bewegung befindlicher Menschen und Tiere vor und fand damit einmütigste Anerkennung. Wir haben auf den hohen künstlerischen und wissenschaftlichen Wert von Mr. Muybridge's Arbeiten schon ausdrücklich hingewiesen. Diese Aufnahmen, von rückwärts, seitwärts und schräg von vorne mit je 12 Objektiven zugleich gemacht, geben die detaillirtesten Aufschlüsse über die Mechanik des Gehens, Laufens und Fliegens, mit einer Schärfe, mit einer Genauigkeit, wie sie bisher noch nicht annähernd erreicht wurden. Der erste Teil des Vortrages hatte ausschliesslich das in der bildenden Kunst am häufigsten verwendete Tier, das Pferd, zum Gegenstande und zwar in Schritt, Trab, Galopp und Sprung, höchst interessant waren die hierbei von Mr. Muybridge gezogenen Vergleiche zwischen Natur und Kunst, aus welchen die merkwürdige Thatsache hervorgeht, dass die bildlichen Darstellungen in ihren ersten Anfängen, z. B. bei Phöniziern und Assyriern, die Mechanik der Pferdebewegungen richtiger wiedergaben, als man es bei Kunstwerken der neueren Zeit mitunter findet. Mr. Muybridge zeigte einige Photographien von Reiter-Statuen und Bildern berühmter Künstler, so von Meissonier, Rosa Bonheur etc. und wies daran die oft geradezu unmögliche Beinestellung der dargestellten Pferde nach. Am augenfälligsten zeigen sich solche Sünden der Kunst bei vielen Jagdstücken; der Galopp der Pferde ist hier in der Weise angedeutet, dass die Tiere mit weitausholenden Vorderbeinen und ausgestreckten Hinterfüssen gezeichnet sind. Ein absolutes Unding! Das Pferd würde bei dieser Stellung notwendiger Weise auf den Bauch fallen müssen! Einen gelungenen Widerspruch erläuterte der Vortragende an einem Bilde Dürers; dem Künstler war es hier offenbar darum zu thun gewesen, einen Ritter darzustellen, der, umdroht von Schrecknissen, ruhig und kaltblütig auf seinem Pferde sitzt. In der Haltung des Reiters ist das auch glücklich ausgedrückt, in der des Pferdes jedoch nicht, denn dessen Beine zeigen die Trabbewegung, während ein ebenfalls auf dem Bilde befindlicher Hund im Galopp läuft! Von hervorragend wissenschaftlicher Bedeutung sind Muybridge's Momentaufnahmen des Vogelflug es. An einem Papagei und einem Geier sehen wir die jeweilige Flügelstellung. Auf dem ersten Bilde sind die Flügel erhoben, bereit die Luft zu schlagen: sie senken sich, bis tief unter den Körper, dann - diese Phase ist die interessanteste - trennen sich die bisher dicht aneinanderliegenden Schwungfedern und der Flügel macht eine Art drehender Bewegung, wodurch sich die Schwungfedern mit ihrer Schmalseite nach vorne richten. Der Zweck dieses Vorganges ist klar: sie bieten so der Luft den geringsten Widerstand und hemmen ebendadurch den Flug am wenigsten. Dann hebt sich der Flügel wieder und ein Flügelschlag ist vollendet. - Nicht minder beachtenswert erscheinen die Photographien von Akten, welche Mr. Muybridge zum Schlusse vorführte. Es ist unmöglich, ein übersichtlicheres Bild von den einzelnen Muskelfunktionen beim Gehen, Bücken, Treppensteigen u.s.w. zu erhalten, als durch diese Momentaufnahmen. Gerade wunderbar vollendet ist die Darstellung eines kleinen Mädchens, welches einige, für seine Körperverhältnisse zu hohe Stufen hinansteigt. Die Unsicherheit der Haltung, das Bestreben, Balance, zu halten, ist in diesen Bildern mit einer ganz verblüffenden Naturwahrheit wieder gegeben. Grosse Heiterkeit rief der Anblick eines Modells hervor, dass unvermutet ein kaltes Sturzbad bekommt und, sich schüttelnd in die Höhe springt. Mr. Muybridge will durch seine Momentaufnahmen nicht etwa die Künstler dazu veranlassen, Bewegungen in ihren Werken dauernd festzuhalten, welche die photographische Kamera in kaum messbaren Bruchteilen einer Sekunde gewonnen. Im Gegenteile! Er will den Maler und Bildhauer mit der Theorie der Bewegung vertraut machen, damit Jener die wichtigsten, die typischen Bewegungsmomente dann richtig darstelle. So wird auf diesem wissenschaftlichen Wege wieder gut gemacht, was die falsch verstandene Momentphotographie - besonders bei Pferdemalern vielfach angerichtet hat. Zu diesem Zwecke sind die Aufnahmen des Mr. Muybridge mit unendlicher Genauigkeit gemacht und die richtigen Momente mit zielbewusster Sorgfalt ausgewählt. Man kann bedeutend mehr Aufnahmen einer Bewegung innerhalb der gleichen Zeit machen, aber für den wissenschaftlich-künstlerischen Zweck dieser Arbeiten würde dieses Mehr ziemlich wertlos, ja verwirrend sein. Um von dem Umfange der Forschungen des genialen Amerikaners einen Begriff zu gelten, sei nur die Zahl der seinem Lebenswerke "Animal Locomotion" eingefügten Blätter mit je 24 oder 36 Aufnahmen angegeben: es sind deren etwa 800. Hoffentlich gelingt es, wenigstens ein Exemplar des kostbaren Werkes, das für eine Reihe von zeichnerischen und anatomischen Fragen eine unbestreitbare Autorität leiden würde, hier in München festzuhalten. Wie wir hören, wurden auch bereits von zustelliger Seite Schritte in dieser Frage gethan. - Dem Vortrag wohnten Prinz Ludwig mit seinem Sohne, Prinz Rupprecht, und Herzog Ludwig an. Auch die Minister Crailsheim, Feilitzsch und Riedel hatten sich eingefunden. Wie schon Eingangs erwähnt, fanden die Vorführungen Mr. Muybridges bei dem sehr zahlreich erschienenen Publikum den lebhaftesten Beifall. Da Herr Muybridge des Deutschen nicht mächtig ist, hatte ein Münchener Künstler, Herr Köhler, in liebenswürdiger Weise die Rolle eines Dolmetschers und Erklärers übernommen".

(Inzwischen hat sich auch Herr Anschütz veranlasst gefühlt, sich über Muybridge zu äussern. (Photgr. Nachr. p. 16 p. 251.) Die Zusammenstellung mit den Nachrichten aus München wird jedem Leser interessant sein.)

Was nun die Vorführungen des Mr. Muybridge anbelangt, so haben mich diese sehr interessiert. Gewissermassen ist es mir zu danken, dass diese überhaupt stattgefunden (1) Die Urania entsandte zu mir eines Tages einen ihrer Herren, um mit mir wegen Überlassung einiger Serien in Diapositivs zu unterhandeln, weil sie für diese einen Projektions-Apparat herzustellen beabsichtigte. Es war mir die Wahl gestellt, entweder der Urania die verlangten Bildscheiben zu liefern oder mir das Auftreten des Mr. Muybridge gefallen zu lassen. Ich lehnte aus zwei Gründen ab; einmal, weil ich es nicht nötig habe, mir meine Apparate von anderen bauen zu lassen; ferner, weil es mich selbst viel zu sehr interessierte, die Arbeit des Mr. Muybridge kennen zu lernen. Über den künstlerischen Wert der Vorführungen des Mr. Muybridge ist von berufener Seite bereits berichtet worden; ich kann mich dem nur nach jeder Richtung hin anschliessen. Mein Urteil ist folgendes: "Diejenigen leider der Projektion, die technisch gut waren, sind Leistungen, die jeder zu machen im Stande ist. Das Übrige lässt viel zu wünschen übrig. Über das Gesamtwerk kann ich nicht urteilen, da ich dasselbe nicht besichtigen konnte. (2) Am meisten interessierten mich die bewegten Bilder in Lebensgrösse, von denen Herr Prof. Vogel im Berliner Tageblatt sagt, dass so etwas an Grossartigkeit hier noch nicht gesehen worden sei. Nun, ich muss dagegen sagen, dass ich so etwas Mangelhaftes nicht erwartet hatte. Der dazu in Anwendung kommende Apparat ist ein mir seit mindestens 15 Jahren bekanntes Instrument, wie es Kinder für die Laterna magica benutzen und von diesem Apparat sagt Herr Prof. Vogel:

"Was hier (im Schnellseher) im kleinen gezeigt wird, zeigt Muybridge nahe lebensgross auf einem 20 Fuss hohen Schirm projiciert, vor einem Publikum von 500 Personen. Die einzelnen photographischen Phasen der Bewegung setzen sich bei seinem "Zoopraxiscop" (!) zu wirklicher Bewegung zusammen. Man sieht die Athleten springen, die Reiter galoppieren. Alles in mindestens Naturgrösse. (3) So etwas hatte man in dieser Grossartigkeit nicht beobachtet. Unternehmer öffentlicher Schaustellungen haben sich sofort an Mr. Muybridge gewendet, um den Apparat für ihre Schaustellungen zu acquirieren, ob mit Glück, ist fraglich. Sehr bald dürften Imitationen bei uns auftauchen." -

Mit letzterem Schlusspassus kann nur ich gemeint sein, (4) denn ich weiss nicht, wer für diesen kostbaren Apparat sonst noch Verwendung haben könnte. Ich kann nicht verstehen, was Herrn Prof. Vogel zu dieser Zumutung Veranlassung gegeben hat.

Keins der bewegten Bilder zeigte eine Bewegungsart in Naturtreue, wie es eben nur einzig und allein mittelst des von mir erfundenen elektrischen Schnellsehers möglich ist, der allerdings in Bezug auf Kleinheit gegen die die Menge frappierende Grösse verschwindet und zu einem Nichts herabsinkt, wenn die Güte einer Sache nach Metern bemessen wird. (5)

Mr. Muybridge gebührt das grosse Verdienst, die Reihen-Aufnahmen zuerst praktisch ausgeführt zu haben, der Gedanke hierzu soll (6) jedoch von Stanford herrühren, der auch die ganzen Kosten der Aufnahmen trug. Schon längst ist es meine Absicht, für die Reihen-Aufnahmen einen Projektions-Apparat zu bauen, jedoch die Geldfrage liess mich bisher davon abstehen. Bringe ich diese Absicht zur Ausführung, dann hoffe ich auch etwas zu bieten, dass sich meinen anderen Erfindungen würdig zur Seite stellt. -

(Als wir zuerst Nachricht über Muybridge gaben (siehe Märzheft II), sagten wir ausdrücklich, dass wir die Verdienste anderer nicht verkleinern wollten. Wir empfehlen diesen Grundsatz anderen zur Richtschnur. Wozu den Mann herabsetzen, der doch der Vater der Serienmomentphotographie ist und der trotz der absprechenden Kritiken in den phot. Nachrichten den allgemeinsten Beifall der grössten Männer der Kunst und Wissenschaft in Amerika, Frankreich, England und Deutschland gefunden hat. Als M. in Paris war, lud ihn der ebenfalls in Momentbildern hervorragende Marey zu sich ein, drückte nicht nur seine wärmste Anerkennung aus, sondern bat ihn, in seinem Laboratorium eine Vorstellung zu geben. Dass in jenem Kreise, den die photographischen Nachrichten vertreten, alles auf wärmsten Beifall rechnen kann, was gegen unseren Herausgeber gesagt wird, gleichviel ob falsch oder richtig, irritiert uns nicht weiter. - Red.)

(1) Hier liegt ein Irrtum vor. Die Urania setzte sich mit Herrn Muybridge direkt in Verbindung, als dieser noch in Paris war und die Absicht geäussert hatte, auch Berlin zu besuchen. Die Sache war perfect, ehe an Anschütz geschrieben wurde, denn Herrn M. waren noch andere Lokale offeriert worden.

(2) Inzwischen habe ich (Anschütz) das Werk gesellen. Was dessen Umfang und Mannigfaltigkeit anbelangt, so dürfte es für alle Zeiten einzig dastehen. Würde man mich mit der Sichtung eines solchen Materials betrauen, so striche ich die Hälfte der Aufnahmen, weil das Wenige, was sie bieten, in keinem Verhältnisse zu den hohen Herstellungskosten steht. Dann würde ich einen grossen Teil wegen mangelhafter Technik, wie Unterexposition, Unscharfe infolge ungenügender Einstellung, Verschleierungen etc. ausmerzen. Bei einem Werke, das durch Kupferdruck vervielfältigt wird, kann man schon verlangen, dass jedes Blatt technisch vollkommen ist. Unter den vielen tausend meiner Aufnahmen befindet sich kein Blatt, welches technische Unvollkommenheiten zeigt. Grosse Bedenken erregten in mir ferner die Modelle, von denen viele geradezu widerwärtig wirkten: von solchen Gestalten würde ich, wenn ich das künstlerische Interesse im Auge habe, niemals eine Aufnahme machen - mir geht die Schönheit über die Wahrheit.

(3) Im Tageblatt heisst es wörtlich in mindestens halber Naturgrösse. Wir möchten bitten, richtig zu zitieren.

(4) Hier irrt sich Herr A. [Anschütz] gewaltig. Von ihm ist keine Rede hier

(5) In der That fanden diese Bewegungsbilder nicht nur bei der ersten Vorstellung vor einem geladenen Publikum, darunter die Koryphäen der Kunst und Wissenschaft, sondern auch im Künstlerverein den allerlautesten Beifall.

(6) Soll!??? Unser Herausgeber kennt Mr. Muybridge und Mr. Stanford seit seinem Aufenthalt in San Francisco 1876 und weiss, dass die Momentserienphotographie M.'s Originalidee ist.

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