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Photographische Industrie, 1910, S. 695
Der Ursprung der Kinematographie
In meinem 1908 erchienenen Buche "Die Kinematographie" heisst es auf S. 111 "Marey hatte den kräftigsten Anstoss in der Entwicklung der Kinematographie gegeben, und könnte nicht mit Unrecht als ihr Vater bezeichnet werden, wenn nicht alle Vaterschaft ungewiss wäre." - Ohne diese wohlbegründete Einschränkung wurde in letzter Zeit von F. P. Liesegang (laut Phot. Chronik, 1910, S. 224) Marey als "Begründer der modernen Kinematographie" bezeichnet, und zwar auf Grund der Tatsache, dass er (wie schon in dem vortrefflichen, 1889 erschienenen Buche "Living Pictures" von Henry V. Hopwood zu lesen ist), bereits 1888 einen kinematographischen Aufnahmeapparat mit Negativpapier-Bändern herstellte. Diesem Apparate fehlen aber alle charakteristischen Elemente des "modernen" Apparates: er hat keine Films, keine Perforierung der Negativbänder, keine intermittierende Fortschaltung, sondern eine elektromagnetische Arretierung, keine für längere Serien geeignete Bildgrösse (jedes Teilbild hatte die Grösse von 9 x 9 cm) und daher nur eine sehr beschränkte Bilderzahl (40 Bilder maximal). Man kann Marey daher nur mit der eingangs zitierten Beschränkung als einen der bedeutendsten Förderer der Kinematographie überhaupt, nicht aber als Schöpfer der modernen Kinematographie bezeichnen; die Elemente der modernen Apparatur stammen von Janssen (1874 intermittierende Fortschaltung), Friese-Green und Evans (1889 Einführung der Celluloidfilms für die Aufnahme), Edison (1893 Einführung der verminderten Bildgrösse und der Perforierung.)
In der "Phot. Rundschau" war neulich zu lesen: "Ein Londoner Photograph, namens William Friese-Greene, macht jetzt auf einmal Prioritätsansprüche gegenüber Edison in bezug auf die Erfindung des Kinematographen geltend. Er will schon in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts einen Kinematographen hergestellt und 1880 einen solchen in der Londoner Photographischen Gesellschaft ausgestellt haben". Demgegenüber ist zu bemerken, dass die Ansprüche von Friese-Green weder so neu noch so unbekannt sind. Mit Evans zusammen reichte er bereits am 21. Juni 1889 die Patentbeschreibung seines Apparates ein, der 10 Bilder pro Sekunde, zusammen 300 Bilder, auf einem unperforierten Filmband gab; als alleiniger Schöpfer der Kinematographie kann Friese-Green ebensowenig bezeichnet werden, wie irgend ein anderer, aber er trug ein wichtiges Element zur Entwicklung bei. - Es empfiehlt sich, zur Beurteilung zahlreicher, im Laufe der letzten Jahre "auf Grund eingehender Studien
gemachter "historischer Entdeckungen" immer wieder zu dem erwähnten Buche von Hopwood zu greifen, in dem alle diese "Entdeckungen" bereits unter genauer Angabe der betreffenden Patentveröffentlichungen etc. angeführt und genaue Abbildungen aller Konstruktionen enthalten sind. Leider wird diese Quelle nie von den Entdeckern genannt.

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