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#2723

Neueste Erfindungen und Erfahrungen, Wien., 1890, S. 186-187

[Neueste Erfindungen und Erfahrungen, Wien. 1890, S. 186-187 Von ...]

Neueste Erfindungen und Erfahrungen, Wien. 1890, S. 186-187

Von Ottomar Anschütz.

Der Schnellseher.

Der Anschütz'sche Schnellseher in seiner ersten, wie in der gegenwärtigen, höchst vervollkommneten Form ist ein Apparat, durch den es uns ermöglicht wird, rasche Bewegungen aller Gegenstände in den photographischen Bildern derselben sich vollziehen zu sehen und dann zugleich sie beliebig in allen einzelnen Momenten der dargestellten Bewegung oder Bewegung oder Handlung so genau zu beobachten, wie es uns der Wirklichkeit gegenüber die Natur unseres Auges uns gestattet. Einen Vorläufer, dessen Herstellung und Leistungen dasselbe Prinzip wie dem Schnellseher zu Grunde liegt, hat letzterer in dem bekannten als ergötzliches Kinderspielzeug verwendeten "Lebensrad" gehabt. Die Wirkung beider beruht auf der Eigentümlichkeit unserer Augen. Diese vermögen es wohl, Lichteindrücke von höchster Schnelligkeit in sich aufzunehmen, aber nicht, sich ebenso rasch wieder davon zu befreien. Die einmal von einer Erscheinung afficirten Sehnerven bleiben noch für eine Zeitlang im im Zustande der Erregung. Dadurch dünkt ihnen der aufgefasste Vorgang länger zu dauern, als er in Wirklichkeit währt. Wir sehen, wie Jeder weiss, eine vor unseren Augen im Kreise geschwungene Kohle als eine feurige Kreislinie den springenden Funken des Blitzes als eine blendend helle Zickzacklinie, die aufsteigende Rakete als einen hohen feurigen Streifen. Lässt man in schnellster Aufeinanderfolge elektrische Funken, wie sie unsere Instrumente für die Dauer von einem Zehntausendstel einer Secunde erzeugen, aufleuchten, so wird man infolge jener Eigenschaft des Auges nur einen Funken zu sehen meinen. Dasselbe geschieht, wenn die Netzhaut in grosser Schnelligkeit die Lichteindrücke von an ihr vorübereilenden Bildern empfängt, wie durch das Hineinblicken in die schmalen Lichtspalten der Trommel des sogenannten "Lebensrades" die Eindrücke der gegenüber diesen Spalten befindlichen Bilder der Momente einer Bewegung. Indem sich immer wieder das Bild des nächstfolgenden Momentes durch die Spalte zeigt, welche - Dank der Schnelligkeit der Umdrehung - stets dieselbe und eine feststehende zu sein scheint, glaubt das Auge die ganze Folge von Einzelbewegungen auf derselben Stelle durch denselben Gegenstand ausführen zu sehen. Blickt man, statt durch die Spalte, von oben her in die schnell gedrehte Trommel hinein, so sieht man kein Einzelbild, sondern nur ein allgemeines schattenhaftes Grau.

Was den Anschütz'schen Schnellseher zumeist von dem "Lebensrade

unterscheidet, ist einmal der Umstand, dass die auf der Scheibe des ersteren rotirende Bilder ihre immer wieder unterbrochene Beleuchtung durch die elektrischen Funken eines Inductionsstromes erhalten, durch welchen jedes Bild stets nur für die Dauer von einem Zehntausendstel einer Secunde erhellt wird. Einen anderen wesentlichen Unterschied aber bedingt die Art der so beleuchteten Bewegungsbilder selbst. Es sind Reihen von 16-24 photographischen Aufnahmen der auf einanderfolgenden Momente einer Bewegung, deren jeder vielleicht nur eine halbe Secunde und weniger von seinem Beginn bis zu seine, Ausklingen währt. Solche von Anschütz auf genommene Bewegungen sind: der Trab, der englische Schritt, der Galopp, der Sprung eines Pferdes unter seinem Reiter über Barrière und Graben; der stürmische Lauf einer Meute; der Sprung eines Circusclowns über Rücken und Kopf seines Genossen; der Speer und der Discuswurf eines nackten Athleten: der Tanz eines Mädchens. Diese Aufnahmen gehen in Vollendeter Klarheit und Bestimmtheit in allen Einzelheiten nicht nur im kleinsten Massstabe aus dem Apparat hervor, sondern erscheinen so auch bei bedeutender Vergrösserung. Anschütz

Vorgänger auf dem Gebiete solcher Aufnahmen von Momentreihen einer Bewegung konnten nie ähnlich vollkommene Ergebnisse erreichen, da sie es nur versuchten mit einer einzigen Dunkelkammer zu arbeiten. Anschütz stellt dem bewegten Objecte gegenüber ebenso viele Dunkelkammern nebeneinander auf, als er Einzelmomente einer Bewegung von Menschen oder Thieren aufnehmen will, also bis zu 21. Diese Dunkelkammern sehen bei der Aufnahme unter einander in festem Zusammenhange und sind durch elektrische Leitungen so verbunden, dass die Aufnahmen in schnellster Aufeinanderfolge und zugleich in genau gleichen bestimmten Zwischenräumen gemacht werden können. Durch eine Art von elektrischem Metronom, welches das Öffnen und Schliessen der Apparate bewirkt, wird das ermöglicht.

Jede dieser Bilderreihen wird durch den Schnellseher für unser Auge zum lebendigen Bilde der einen Bewegung gemacht. Die einzelnen Momentaufnahmen einer Serie, Glasdiapositive von 10 cm Durchmesser, werden in ihrer richtigen Folge, von dem ersten Anheben der Bewegung an, bis zum ersten Wiedereintritt der Ruhe, auf dem Saum einer Scheide befestigt, welche mit grosser Schnelligkeit um eine horizontale Achse gedreht werden kann. Hinter dem Rücken dieser vertical stehenden Scheibe, senkrecht über ihrem Mittelpunkte, ist eine spiralförmig gewundene Geissler'sche Röhre angebracht. Immer während der verschwindend kurzen Dauer von 1/2000 - 1/4000 einer Secunde zuckt ihr elektrischer Funken auf und beleuchtet das sich vorüberbewegende Glasbild von der Rückseite her. Das Auge vermag die immer wieder unterbrochene Beleuchtung nur als eine fortdauernde und durch sie jedes einzelne von ihr beleuchtete Bild welches auf das vorige nach 3/100 einer Secunde folgt, nur als eine unter brochene Fortsetzung des auf dem vorangegangenen dargestellten Bewegungsmomentes aufzufassen.

So sieht man bei der Umdrehung der Scheibe beim Vorbeipassiren der Glasbilderplatten das beleuchtete Bild des Pferdes, Reiters, Speerwerfers, Läufers, Springers wirklich die Bewegung oder Action ausführen und dieselbe immer wiederholen, so lange die Scheibe gedreht wird, und zwar zu der Schnelligkeit, mit der diese Drehung erfolgt. Der Eindruck ist ein fast unheimlicher. Man erblickt das Flattern der Mähne und des Schweifes der Pferde, das Aufwirbeln des Staubes unter ihren Hufen, das Zurückwerfen und Spitzen der Ohren, das Sich Heben und Senken des Reiters im Sattel, das Wehen seiner Rockschösse: man sieht das wechselnde Spiel der Muskeln und der Glanzlichter auf dem Hals, der Brust, der Kruppe und den Beinen des Pferdes. Die im Schritte, Trabe oder Galopp dargestellten Thiere scheinen, ebenso wie die marschirenden Menschen, bei aller Lebendigkeit und Wahrheit der Bewegungen immer auf derselben Stelle zu verharren. Die springenden Menschen und Pferde verschwinden wohl in der Richtung des Sprunges, aber unmittelbar und ununterbrochen folgt jedem dorthin Verschwundenen sein Doppelgänger, er selbst, von der entgegengesetzten Seite her, um genau dieselbe Bewegung von Neuem auszuführen.

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