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#2689

Das neue Buch der Erfindungen, 1890, Jg. XVI, S.186-187

[Das neue Buch der Erfindungen 1890, Jg.XVI, S.186-187 Der ...]

Das neue Buch der Erfindungen 1890, Jg.XVI, S.186-187

Der Anschütz'sche Schnellseher

in seiner ersten, wie in der gegenwärtigen, höchst vervollkommneten Form ist ein Apparat, durch den es uns ermöglicht wird, rasche Bewegungen aller Gegenstände in den photographischen Bildern derselben sich vollziehen zu sehen und dabei zugleich sie beliebig in allen einzelnen Momenten der dargestellten Bewegung oder Handlung so genau zu beobachten, wie es uns der Wirklichkeit gegenüber die Natur unseres Auges nie gestattet. Einen Vorläufer, dessen Herstellung und Leistungen dasselbe Princip wie dem Schnellseher zu Grunde liegt, hat letzterer in dem bekannten, als ergötzliches Kinderspielzeug verwendete "Lebensrad

gehabt. Die Wirkung beider beruht auf der Eigenthümlichkeit unserer Augen. Diese vermögen es wohl, Lichteindrücke von höchster Schnelligkeit in sich aufzunehmen, aber nicht, sich eben so rasch wieder davon zu befreien. Die einmal von einer Erscheinung afficirten Sehnerven bleiben noch für eine Zeitlang im Zustande der Erregung. Dadurch dünkt ihnen der aufgefasste Vorgang länger zu dauern, als er in Wirklichkeit währt. Wir sehen, wie Jeder weiss, eine vor unseren Augen im Kreise geschwungene Kohle als eine feurige Kreislinie, den springenden Funken des Blitzes als eine blendend helle Zickzacklinie, die aufsteigende Rakete als einen hohen feurigen Streifen. Lässt man in schnellster Aufeinanderfolge elektrische Funken, wie sie unsere Instrumenten für die Dauer von einem Zehntausendstel einer Secunde erzeugen, aufleuchten, so wird man infolge jener Eigenschaft des Auges nur einen Funken zu sehen meinen. Dasselbe geschieht, wenn die Netzhaut in grosser Schnelligkeit die Lichteindrücke von an ihr vorübereilenden Bildern empfängt, wie durch das Hineinblicken in die schmalen Lichtspalten der Trommel des sogenannten "Lebensrades

die Eindrücke der gegenüber diesen Spalten befindlichen Bilder der Momente einer Bewegung. Indem sich immer wieder das Bild des nächstfolgenden Momentes durch die Spalte zeigt, welche -- Dank der Schnelligkeit der Umdrehung -- stets dieselbe und eine feststehende zu sein scheint, glaubt das Auge die ganze Folge von Einzelbewegungen auf derselbe Stelle durch denselben Gegenstand ausführen zu sehen. Blickt man, statt durch die Spalte, von oben her in die schnell gedrehte Trommel hinein, so sieht man kein Einzelbild, sondern nur ein allgemeines schattenhaftes Grau.

Was den Anschütz'schen Schnellseher zumeist von dem "Lebensrade

unterscheidet, ist einmal der Umstand, dass die auf der Scheibe des ersteren rotirenden Bilder ihre immer wieder unterbrochene Beleuchtung durch die elektrischen Funken eines Inductionsstromes erhalten, durch welche jedes Bild stets nur für die Dauer von einem Zehntausendstel einer Secunde erhellt wird. Einen anderen wesentlichen Unterschied aber bedingt die Art der so beleuchteten Bewegungsbilder selbst. Es sind Reihen von 16 -- 24 photographischen Aufnahmen der aufeinanderfolgende Momente einer Bewegung, deren jeder vielleicht nur eine halbe Secunde und weniger von seinem Beginn bis zu seinem Ausklingen währt. Solche von Anschütz aufgenommenen Bewegungen sind: der Trab, der englische Schritt, der Galopp, der Sprung eines Pferdes unter seinem Reiter über Barrière und Graben; der stürmische Lauf einer Meute; der Sprung eines Circusclowns über Rücken und Kopf seines Genossen; der [Speerwurf] Speer- und der Discuswurf eines nackten Athleten; der Tanz eines Mädchens. Diese Aufnahmen gehen in vollendeter Klarheit und Bestimmtheit in allen Einzelheiten nicht nur im kleinste Massstabe aus dem Apparat hervor, sondern erscheinen so auch bei bedeutender Vergrösserung. Anschütz' Vorgänger auf dem Gebiete solcher Aufnahmen von Momentreihen einer Bewegung konnten nie ähnlich vollkommene Ergebnisse erreiche, da sie es nur versuchten, mit einer einzige Dunkelkammer zu arbeiten. Anschütz stellt dem bewegten Objecte gegenüber ebenso viele Dunkelkammern nebeneinander auf, als er Einzelmomente einer Bewegung von Menschen oder Thieren aufnehmen will, also bis zu 24. Diese Dunkelkammern stehen bei der Aufnahme untereinander in festem Zusammenhange und sind durch elektrische Leitungen so verbunden, dass die Aufnahmen in schnellster Aufeinanderfolge und zugleich in genau gleichen bestimmten Zwischenräumen gemacht werden können. Durch eine Art von elektrischem Metronom, welches das Öffnen und Schliessen der Apparate bewirkt, wird das ermöglicht.

Jede dieser Bilderreihen wird durch den Schnellseher für unser Auge zum lebendigen Bilde der einen Bewegung gemacht. Die einzelnen Momentaufnahmen einer Serie, Glasdiapositive von 10 cm Durchmesser, werden in ihrer richtigen Folge, von dem ersten Anheben der Bewegung an, bis zum ersten Wiedereintritt der Ruhe, auf dem Saum einer Scheibe befestigt, welche mit grosser Schnelligkeit um eine horizontale Achse gedreht werden kann. Hinter dem Rücken dieser vertical stehenden Scheibe, senkrecht über ihrem Mittelpunkte, ist eine spiralförmig gewundene Geissler'sche Röhre angebracht. Immer während der verschwindend kurzen Dauer von 1/2000 - 1/1000 einer Secunde zuckt ihr elektrischer Funken auf und beleuchtet das sich vorüberbewegende Glasbild von der Rückseite her. Das Auge vermag die immer wieder unterbrochene Beleuchtung nur als eine fortdauernde und durch sie jedes einzelne von ihr beleuchtete Bild (welches auf das vorige nach 3/100 einer Secunde folgt) nur als eine unterbrochene Fortsetzung des auf dem vorangegangenen dargestellten Bewegungsmomentes aufzufassen.

So sieht man bei der Umdrehung der Scheibe beim Vorbeipassiren der Glasbildplatte das beleuchtete Bild des Pferdes, Reiters, Speerwerfers, Läufers, Springers wirklich die Bewegung oder Action ausführen und dieselbe immer wiederholen, so lange die Scheibe gedreht wird, und zwar in der Schnelligkeit, mit der diese Drehung erfolgt. Der Eindruck ist ein fast unheimlicher. Man erblickt das Flattern der Mähne und des Schweifes der Pferde, das Aufwirbeln des Staubes unter ihren Hufen, das Zurückwerfen und Spitzen der Ohren, das Sich-Heben und Senken des Reiters im Sattel, das Wehen seiner Rockschösse; man sieht das wechselnde Spiel der Muskeln und der Glanzlichter auf dem Hals, der Brust, der Kruppe und den Beinen des Pferdes. Die im Schritte, Trabe oder Galopp dargestellte Thiere scheinen, eben so wie die marschirenden Menschen, bei aller Lebhaftigkeit und Wahrheit der Bewegungen immer auf derselben Stelle zu verharren. Die springenden Menschen und Pferde verschwinden wohl in der Richtung des Sprunges, aber unmittelbar und ununterbrochen folgt jedem dorthin Verschwundenen sein Doppelgänger, er selbst, von der entgegengesetzten Seite her, um genau dieselbe Bewegung von Neuem auszuführen. (1)

Anm.:

(1) Durch eine von der früheren abweichende Anordnung der drehenden Scheiben und der Bilder auf ihnen gelang es Anschütz, mehrere der ersteren neben einander in einem Gehäuse von der Form einer langen, halbrund überwölbten Truhe so unterzubringen, dass es nur einiger leicht erlernter Handgriffe bedarf, um das Ganze in Thätigkeit zu setzen und sechs verschiedene Serien von Bewegungsbildern an einer Seitenwand dieses Gehäuses in einer Reihe neben einander hervortreten und zur Erscheinung gelangen zu lassen. In dieser Form kann der Schnellseher überall hingetragen und vorgeführt werden.

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