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#2164

Jahrbuch für Photographie und Reproduktionsverfahren, Halle, 1887, (I), S. 107-111

[Jahrbuch für Photographie und Reproduktionsverfahren, Halle 1887 ...]

Jahrbuch für Photographie und Reproduktionsverfahren, Halle 1887 (I), S. 107-111

Von Ottomar Anschütz in Lissa in Posen.

Momentphotographien

Von allen Photographen und Forschern, welche die Momentphotographie als Hilfsmittel zum Studium der Bewegungserscheinungen bei Menschen und Thieren benutzten, erreichte O. Anschütz das höchste Ziel, indem er an Stelle schwacher Schattenrisse, wie sie der Amerikaner Muybridge bis dahin geliefert hatte, mit allen Halbtönen versehene Bilder setzte. "Der Fortschritt ist ein enormer, denn während uns vorher gewissermassen nur die Bewegung des Skelettes gezeigt wurde, wird dasselbe jetzt mit Fleisch und Blut bekleidet, wir sehen das Spiel der Muskeln und begreifen den Zusammenhang der Vorgänge". Mit diesen Worten rühmt Herr Dr. Stolze die in der naturwissenschaftlichen Ausstellung, welche gelegentlich der 59. Versammlung der Naturforscher in Berlin veranstaltet wurde und bei welcher die Leistungen von Anschütz vorgeführt wurden, diese bahnbrechenden Arbeiten.

Anschütz begann 1882 mit Einzelaufnahmen und brachte geradezu überraschende Bilder von Militär-Manövern (1883 und 1884), sowie Bilder aus dem Thierleben zur Darstellung. Darunter erregten insbesondere die im Jahre 1884 hergestellten Aufnahmen von fliegenden Tauben und Störchen die allgemeinste Aufmerksamkeit. Diese Studien wurden mehrfach hinsichtlich des ihnen innewohnenden naturwissenschaftlichen Werthes und in Eder's "Die Momentphotographie in ihrer Anwendung in Kunst und Wissenschaft" (1886 S. 161) eingehend besprochen und durch Abbildungen erläutert.

Die Störche, welche Anschütz photographirte, wurden in der Nähe ihres Nestes von einem Dache aus photographirt und zahlreiche Bilder erhalten, welche die interessantesten Aufschlüsse über die Technik des Vogelfluges geben. Fig. 1 und 2 zeigen Skizzen einiger dieser Bilder, welche jedoch nur entfernt die Deutlichkeit der Originalphotographie erreicht.

Später verlegte sich Anschütz auf die Darstellung von Thieren und Menschen in Bewegung mittels zusammenhängender Serienaufnahmen (October 1885). Es wurden im Auftrage des Kgl. Preussischen Kriegs-Ministeriums Pferde in Schritt, Trab, Galopp und Carriere aufgenommen. Das Thier wurde z. ss. in einem Galoppsprung während 3/4 Secunde zwölfmal photographirt. In den Originalaufnahmen hat das Pferd eine Länge von 11 mm.

Tafel I zeigt die Momentaufnahmen eines Pferdes sammt Reiter im Sprung; das Zinkcliché verdankt der Herausgeber der Freundlichkeit des Herrn Regierungsrath Volkmer, welcher dasselbe nach den im Besitze des Herausgebers befindlichen Originalien herstellen liess.

Später (Sommer 1886) stellte Anschütz am Militär-Reitinstitut in Hannover, ebenfalls im Auftrage des Kriegs-Ministeriums an 100 Serien von Pferden in allen [regelmässigen] regel- und unregelmässigen Gangarten her, welche alle vorausgegangenen weit übertreffen. Die Schnelligkeit seiner Apparate (mit elektrischer Auslösung der Momentverschlüsse) ist so gross, dass er 24 Aufnahmen in 0,72 Secunde (d. i. also weniger als 3/4 See.) macht. Je nach der Bewegungsart ist er im Stande die Gesammtaufnahmezeit bis 3 Secunden auszudehnen. Trotz der enormen Geschwindigkeit mancher Gangarten zeigen sich die Einzelheiten der Bewegung vollständig scharf zergliedert.

Andere Aufnahmen betreffen den Menschen in Bewegung. Fig. 3 zeigt je drei Phasen der Bewegungen eines laufenden und springenden Mannes (1) und eines Speer-Schleuderers.

Die Momentbilder von Anschütz sind sämmtlich zunächst in kleinem Format mit sehr lichtstarken Objectiven aufgenommen und wurden nachher vergrössert; dank der Vollkommenheit der Originalaufnahmen lassen sich Vergrösserungen in bedeutenden Dimensionen und vollkommener Schärfe herstellen, welche reich an Einzelheiten sind. Besonderes Aufsehen erregten bei Künstlern die Bilder des nackten menschlichen Körpers bei einem Discus-Werfer. Es sind alle Phasen der Bewegung wiedergegeben, von dem Momente angefangen, wo er der Scheibe den ersten Schwung gibt, bis zu dem Augenblicke, wo er, dem entflohenen Geschosse nachblickend, es zu Boden schlagen sieht. Hier sowohl, wie bei den vergrösserten Bildern des Mannes, welcher einen Speer schleudert, ist der Übergang aus einer Stellung zur andern, sowie das Spiel der Muskeln vollkommen deutlich zu erkennen.

Neuerdings beschäftigt sich O. Anschütz mit Versuchen über die Aufnahmen fliegender Kanonenkugeln und stellte diesbezügliche Versuche an, welche ergaben, dass dieses Problem zu lösen sei.

Ausserdem hat Anschütz in neuerer Zeit photographische Thierstudien hergestellt, welche wahre Musterleistungen von Porträten lebender Thiere sind. (2) Dieselben haben eine sehr ansehnliche Grösse (15 x 20 cm) und repräsentiren Affen, Wildschweine, Füchse etc. in bewundernswürdiger Lebenswahrheit. Tafel II zeigt das Bild eines Affen, welcher sich an einem Aste festhält und mit aufgerichtetem Körper die eine Hand ausstreckt, um nach einem Gegenstand zu langen. Unser Bild, welches mit freundlicher Erlaubniss von Herrn Anschütz hergestellt wurde, ist eine verkleinerte Reproduction nach der Originalphotographie.

Anschütz hat auf den verschiedensten Gebieten der Momentphotographie die vollendetsten Leistungen erzielt und es sind noch viele neue Aufschlüsse auf diesem Gebiete von Seite dieses verdienstvollen Forschers zu erwarten.

1) Eine grössere Anzahl dieser Serien-Photographien ist in Eder's "Die Momentphotographie" 1886 enthalten.

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