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#2093

Jahrbuch für Photographie und Reproduktionsverfahren, Halle, 1888, (II), S. 175-177

[Jahrbuch für Photographie und Reproduktionsverfahren, Halle 1888 ...]

Jahrbuch für Photographie und Reproduktionsverfahren, Halle 1888 (II), S. 175-177

von O. Anschütz in Lissa in Posen.

Momentphotographien

Schon zu wiederholten Malen haben wir über die meisterhaften Augenblicksbilder von Ottomar Anschütz berichtet und im vorigen Jahrgänge unseres "Jahrbuchs" Illustrationen nach einigen seiner systematischen Aufnahmen von laufenden und springenden Männern gebracht. Bekanntlich wurden diese Serienbilder mittels einer Reihe von photographischen Apparaten hergestellt, bei welcher die Auslösung des Momentverschlusses durch den elektrischen Strom in bestimmten Zeit-Intervallen geschieht; die Zeit der Belichtung selbst, sowie der zwischen den einzelnen Aufnahmen liegenden Intervallen wird mittels eines Siemens'schen Funken-Chronographen gemessen. So dauert z. B. die Aufnahme des Speerwerfers ungefähr 1 1/2 Secunden. Wir bringen in Tafel V die Reproductionen der Momentbilder des Speerwerfers (nach Herrn Regierungsrath Volkmer's "Fortschritte der photographischen Technik", 1887, dessen Freundlichkeit wir die Cliché's verdanken).

O. Anschütz liess von einem jungen Mann die dargestellten Bewegungen ausführen. Während derselben macht der Körper lebhafte, von energischen Muskelspannungen begleitete Bewegungen, welche das menschliche Auge nicht getrennt zu empfinden und festzuhalten vermag, während sie die Momentphotographie in völlig getrennte Bewegungsmomente auflöst. Der nackte Körper des in diesen Bewegungen aufgenommenen jungen Kriegers erscheint dabei in Stellungen und Muskelspannungen, wie sie ein gestelltes Modell nicht mit Absicht und Bewusstsein ausführt, geschweige denn nur für eine Minute festzuhalten vermag.

Diese Stellungen und Bewegungen aber lassen den Körper in einer so hohen plastischen Schönheit erscheinen, dass ihre Nachbildung für Maler eine würdige Aufgabe wäre. Die Drehungen des Schultergelenkes, das Spiel der Muskeln am Oberarm, die Rotirung der Handfläche, die Spreizung, Lockerung und Ballung der Finger wirken beim Beschauen der Bilder fast wie marmorartig ausgemeisselt.

Auf die mittels Momentphotographie hergestellten Studienbilder von Thieren wurden durch O. Anschütz weiter fortgeführt. Zwei dieser Bilder, nämlich sehr gelungene Bilder von Hunden, reproduciren wir mit gütiger Erlaubniss des Herrn Anschütz (in Leimtypie von Herrn Professor Husnik in Prag s. u.).

Die Momentbilder von O. Anschütz geben in einem Stroboskop ausgezeichnete Bewegungsbilder. Die im Jahre 1832 von Stampfer erfundene "Stroboskopische Scheibe" war durch das "Zootrop" oder die "amerikanische Wundertrommel" verbessert wurden, welche aus einem drehbaren Hohlcylinder besteht, in welcher die auf einem langen Papierstreifen angeordneten Bilder (während der Drehung) beobachtet werden. Bei Anschütz's Stroboskop sind die Reihenbilder kreisförmig auf einer Stahlscheibe von massigem Durchmesser angeordnet. Es sind Glasdiapositive von einem Durchmesser von 10cm; davon sind 14 - 24 zu einem Vertikalkreise angeordnet. An der höchsten Stelle befindet sich eine kreisförmige Opalglasscheibe 10 cm Durchmesser, hinter welcher eine spiralförmig zu einer Kreisfläche gewundene Geissler'sche Röhre liegt. Durch diese Röhre wird in dem Moment, wo sich ein Bild der rotirenden Scheibe genau davor befindet, ein kräftiger Inductionsstrom geleitet, der aber schon nach 1/1000 Secunde wieder unterbrochen wird, so dass die Röhre ihr schönes Licht nur für diese kurze Zeit aussendet. Ist nun das Zimmer verdunkelt und wird die Scheibe rasch genug gedreht, um die Bilder in ungefähr 1/80 Secunde aufeinander folgen zu lassen, so erglänzt die Opalglasscheibe in scheinbar continuirlichem Lichte und vor ihr sieht man die Bewegung, welche durch die Reihenaufnahme dargestellt wurde, scheinbar objectiv im zierlichsten Massstabe und in köstlicher Vollendung vor sich gehen. Der Eindruck dieser Erscheinung ist in Folge der hohen Naturwahrheit ein ungemein überraschender und anziehender. (Phot. Wochenbl. 1887, S. 94.)

Von O. Anschütz erschien ferner eine kleine Broschüre "Die Augenblicksphotographie, ihr Wesen und ihre Bedeutung, 1887, dargestellt in Aufsätzen von Eder, Leixner, Müllenhoff u. A.", worin die Arbeiten des Herrn Anschütz geschildert sind. Ferner veranstaltete derselbe eine ausgewählte Collection seiner Momentbilder in Lichtdruck, welche zu dem sehr billigen Preise von 10 Mk. (Selbstverlag von O. Anschütz in Lissa in Posen) abgegeben wird.

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