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#2089

Jahrbuch für Photographie und Reproduktionsverfahren, Halle, 1890, S. 295-298

[Jahrbuch für Photographie und Reproduktionsverfahren, Halle ...]

Jahrbuch für Photographie und Reproduktionsverfahren, Halle 1890, S.295-298

Das Photographiren von Projectilen und Artillerie-Geschossen bei grosser Geschwindigkeit während des Fluges.

Über Prof. Dr. Mach's Photographien von Projectilen war bereits in früheren Jahrgängen dieses Jahrbuches berichtet und wurde der dazu neuerdings benutzte Spiegelapparat in diesem Jahrbuch auf S. 108 beschrieben.

Die kleinen ausgezeichneten Mach'schen Originalphotographien der Projectile wurden an der k. k. [Lehranstalt] Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie in Wien vergrössert und für Lichtdruck reproducirbar gemacht; es erscheinen 18 Originalbilder der Schussphänomene in den Sitzber. d. Akad. d. Wissensch. in Wien.

Von Herrn Ottomar Anschütz-Lissa erhielten wir eine Momentphotographie eines fliegenden Geschosses. Über die Herstellung der Bilder schreibt die "Deutsche Heeres-Zeitung", wie folgt:

Im September vorigen Jahres sind auf dem Schiessplatze des Grusonwerkes in Buckau-Magdeburg durch Ottomar Anschütz aus Lissa (Posen), den bekannten Meister der Augenblicks-Aufnahmen, sehr interessante Versuche durchgeführt worden, welche die Möglichkeit, Artillerie-Geschosse bei grossen Geschwindigkeiten während des Fluges zu photographiren, durch gelungene Aufnahmen erweisen. Es ist dies meines Wissens der erste Fall, dass diese Aufgabe überhaupt versucht und zugleich gelöst wurde.

Mit diesem Versuche wollte Ottomar Anschütz lediglich den Beweis führen, dass es überhaupt möglich sei, ein fliegendes Geschoss bei Tagesbeleuchtung scharf auf der photographischen Platte zu fixiren und zwar in mehreren aufeinander folgenden Phasen, deren Anzahl einstweilen auf 4 angesetzt war. Da diese Versuche auf seine Kosten geschahen, musste in mancher Hinsicht eine Beschränkung in der Verschiedenartigkeit der Verwendung seiner Methode eintreten.

Herr Anschütz glaubte für eine Geschossgeschwindigkeit von etwa 400 m/sec. die Belichtungszeit auf die ungemein kurze Zeit von etwa 0.000076 (76 Millionstel) Secunden beschränken zu müssen; das Geschoss konnte in dieser Zeit etwa 3 cm zurücklegen und es war daher, wenn man den Apparat in einiger Entfernung aufstellte und somit den Sehwinkel verkleinerte, zu hoffen, dass das Geschoss hinlänglich scharf, höchstens an Spitze und Boden in seiner Begrenzungslinie wenig unklar auf der Platte erscheinen würde.

Anschütz hat seinen Apparat so construirt, dass das Geschoss selbst durch Zerreissen eines Drahtnetzes und die hierdurch bewirkte Unterbrechung eines elektrischen Stromes den Momentverschluss des Apparates auslöste und auf diese Weise - unter Berücksichtigung der Zeit, welche diese Auslösung und die Thätigkeit des Momentverschlusses erforderte - die Sicherheit geboten war, das Geschoss gerade in dem Augenblicke an der bestimmten Stelle zu haben, wenn die Öffnung des Momentverschlusses das Objectiv des auf jene Stelle gerichteten Apparates passirte.

Für den vorliegenden Fall handelte es sich in erster Linie um die Feststellung der Zeit, welche von der Auslösung des Momentverschlusses bis dahin vergeht, wo die Öffnung der Deckscheibe im freien Fall das Objectiv des Apparates mit der erforderlichen Geschwindigkeit passirt, um hiernach den Ort der Aufnahme bestimmen zu können. Durch Anwendung des Funkenchronographen ergab sich diese Zeit zu 0,28 Secunden: in dieser Zeit legt das mit 400 m/sec. fliegende Geschoss 113 m zurück und war damit der Ort der Aufnahme zu 113 m vor dem Drahtnetzrahmen bestimmt, an welchem das Geschoss selbst den Verschluss auslöst. In der Höhe dieser Entfernung musste daher seitwärts der Schussebene ein weisser Hintergrund angebracht werden, gegen welchen sich das fliegende Geschoss scharf abheben konnte, auf der anderen Seite der Schussebene, etwa 80 m senkrecht von derselben entfernt, sollte alsdann dem photographischen Apparat seine Stelle angewiesen werden.

Da Anschütz beabsichtigte, das Geschoss gleich in vier Stadien aufzunehmen, so wurden vier mit der erwähnten Einrichtung versehene und miteinander derart in Verbindung stehende Apparate aufgestellt, dass der folgende um etwa je 0,009 Secunden später arbeitete als der frühere. Zu der ganzen Aufnahme wurden alsdann 0.028 Secunden erfordert, in welcher Zeit das Geschoss etwa 11 m zurücklegen konnte. Der Hintergrund wurde infolgedessen 13 m lang gemacht und auf demselben unterhalb der Schusslinie ein 12 m langer Maassstab aufgezeichnet, so dass bei jeder der vier Aufnahmen zugleich zu erkennen war, an welcher Stelle das fliegende Geschoss bei der Aufnahme sich befunden hatte. Unterhalb des Maassstabes waren an drei verschiedenen Stellen (Anfang, Mitte und Ende) Geschosse an Schnüren befestigt aufgehängt, um bei jeder Aufnahme den Vergleich der Bilder des fliegenden mit den ruhenden Geschossen deutlich vor Augen zu haben.

Leider bot der Schiessstand des Grusonwerkes bei Buckau-Magdeburg nur eine Länge von 60 m dar und so konnten denn die Versuche nicht vollkommen in der geplanten Weise zur Durchführung gelangen. Es musste von der Auslösung durch das Geschoss Abstand genommen werden, da die Entfernung von 113 m für das Geschoss, welche der Zeit entspricht, die der Momentverschluss für das Fallen nöthig hat, nicht zu schaffen war. Da es für die Einrichtung behufs Anwendung anderer Methoden an Zeit fehlte, so blieb nichts anderes übrig, als dem Momentverschluss die nöthige Zeit dadurch zu verschaffen, dass man die Auslösung in den Beginn der Entzündung der Geschützladung verlegte, so dass während der Verbrennung der Ladung die Deckscheibe des Apparates bereits im Fallen begriffen war; die Entzündung geschah hierbei auf elektrischem Wege. Bei dieser Anordnung musste man allerdings - was bei der Notwendigkeit genauer Übereinstimmung der in Betracht kommenden kleinsten Zeiten verhängnissvoll werden konnte - die Unregelmässigkeiten mit in den Kauf nehmen, welche bei der Entzündung und Verbrennung von Geschützladungen unvermeidlich sind, und so ergab sich denn bei den Versuchen leider, dass von den überhaupt zur Verfügung stehenden beiden Zündungsarten die eine zu langsam die andere zu schnell functionirte, so dass das Geschoss das Gesichtsfeld der Apparate entweder noch nicht erreicht oder aber bereits passirt hatte, wenn der Momentverschluss seine Öffnung darbot.

Trotzdem gelang es am späten Nachmittag, ein 8 1/2 cm Geschoss von 25 cm Länge, wenn auch zufällig vor dem auf den weissen Hintergrund geworfenen Schlagschatten eines in der Nähe aufgestellten Balkens, also in sehr ungünstiger Lage befindlich, durch den ersten Apparat ganz scharf zum Ausdruck zu bringen und damit die Möglichkeit des Verfahrens zu beweisen.

Es ergab sich dennoch - und das ist schliesslich in Bezug auf die photographische Aufnahme das Wentliche [Wesentliche] - dass bei einigermassen gutem Sonnenlichte selbst die ungemein kurze Belichtungszeit von 0,000076 Secunden bei der überaus gesteigerten Empfindlichkeit der Platten vollkommen ausreicht, deutliche Bilder zu erhalten.

Das in leider nur dem einen Falle aufgefangene, fliegende Geschoss zeigt in seinem Bilde im Vergleich zu den Bildern der ruhenden Geschosse, die unterhalb des Maassstabes angehängt waren, eine kaum nennenswerthe Unschärfe an den beiden Enden, die eben daher rührt, dass, wie berechnet, das Geschoss während der vorerwähnten Belichtungsdauer sich um ca. 3 cm vorwärts bewegte. Ein in der Schussrichtung vor jedem Schuss aufgestellter, zum Durchschiessen bestimmter Stab ist auf allen vier Bildern deutlich sichtbar und gibt in seinen verschiedenen, beim Bruch und nachherigen Fall angenommenen Lagen deutlich an, dass die Übereinstimmung der vier Apparate eine vollkommene war und dieselben gut functionirten.

Der Beweis für die Möglichkeit des Verfahrens ist mithin erbracht.

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