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#2069

Jahrbuch der Naturwissenschaften., 1887, /88 (III), S. 23-24

[Jahrbuch der Naturwissenschaften. 1887/88 (III), S. 23-24 Die ...]

Jahrbuch der Naturwissenschaften. 1887/88 (III), S. 23-24

Die Darstellung fortschreitender Bewegungen durch Augenblicksphotographieen.

Wie in den weiter zurückliegenden Jahren, so hat auch im letztverflossenen Berichtsjahre die Anfertigung von Augenblicksphotographieen bedeutende Fortschritte gemacht. Besonders ist der Photograph Ottomar Anschütz in Lissa auf diesem Gebiete sehr erfolgreich thätig gewesen, und unsere besseren [Fachblätter] Fach- und Unterhaltungsblätter haben von Zeit zu Zeit nach dem Lichtdruckverfahren getreue Wiedergaben der Anschützschen Momentbilder gebracht. So giebt die "Leipziger Illustrierte Zeitung" u. a. in Nr. 2270 in 9 Bildern den Weitsprung (3,70 m) eines Menschen: das Abstossen vom Boden, während des Schwebens das allmähliche Vorbereiten der Beine zum Landen, das Niederkommen auf den Boden in fast unglaublichen, den Gesetzen des Schwerpunktes widersprechend erscheinenden Stellungen. Nach den begleitenden Mitteilungen sind die erforderlichen Apparate zwar sehr kompliziert und stellen sich darum auf den hohen Preis von 20 000 Mark, sind aber so vervollkommnet, dass sie in nicht ganz 3/4 Sekunden 24 Aufnahmen in gleichmässigen Intervallen gestatten. Dabei kann der elektrisch regulierbare Apparat beliebig von links nach rechts oder umgekehrt die Aufnahmen bewirken; auch kann die Belichtungsdauer von 1/100 auf 1/5000 Sekunde abgekürzt werden.

So vortreffliche Anhaltspunkte nun diese Momentaufnahmen dem Physiologen, dem Anatomen, dem Künstler bieten, so geeignet sie erscheinen, die Frage nach Bewegungserscheinungen kürzester Dauer, deren einzelne Phasen unser Auge nicht auseinander zu halten vermag, zu beantworten, so lassen sie doch noch eine Lücke. Die naturwahren Einzelbilder liessen im Beschauer den Wunsch rege werden, dieselben, gleichwie sie nur als Teile einem Ganzen entnommen sind, auch wieder zu demselben Ganzen zusammenzusetzen, und so nicht nur eine Phase der Bewegung, sondern die Gesamtbewegung im Bilde zu erhalten. Doch stellten sich der Ausführung des Unternehmens bedeutende Schwierigkeiten entgegen, die vor allem in der Beleuchtungsfrage ihren Grund hatten.

Es ist Anschütz gelungen, die entgegenstehenden Schwierigkeiten zu beseitigen, und wie wir uns mehrfach durch den Augenschein überzeugten, kann die Aufgabe: aus den Aufnahmebildern der Einzelphasen einer Bewegung den Bewegungsvorgang wiederherzustellen, als vollkommen gelöst gelten, und zwar ist die Lösung folgende. Eine Reihe von Momentaufnahmen wird in der Reihenfolge, in welcher die Phasen der darzustellenden Bewegung, etwa des Sprunges, sich folgen, vom Augenblick der Ruhe unmittelbar vor der Bewegung bis zum Wiedereintritt der Ruhe nach vollendeter Bewegung, nahe dem Rande ringsum auf einer Scheibe befestigt. Diese Scheibe dreht sich sehr schnell um eine wagerechte Achse, steht also selbst lotrecht, ihre Schnelligkeit ist eine derartige, dass die Einzelbilder durchschnittlich in Zwischenräumen von etwa 3/10 Sekunden nacheinander vor das Auge des Beschauers treten. In demselben Augenblicke, in welchem ein Momentbild sichtbar wird, wird es durch eine mitten vor der Scheibe befindliche, dem Auge des Hinsehenden aber nicht direkt sichtbare Geisslersche Röhre blitzartig erleuchtet und erscheint so dem Auge in seinen kleinsten Teilen in voller Klarheit. Es ist aber bekannt, dass die Dauer des elektrischen Funkens eine fast unmessbar kurze ist; sie beträgt kaum 1/100 der ohnehin kurzen Zeit, während welcher das Bild vorüberfliegt. Und doch sehen wir eine stetige Helle, darin begründet, dass ein Lichteindruck auch nach dem Verschwinden der Lichtquelle noch einen Bruchteil einer Sekunde auf unserer Netzhaut haften bleibt, ein Umstand, der uns bekanntlich eine im Kreise schnell geschwungene Kohle als glühenden Kreis erscheinen lässt.

So kommt es denn, dass wir auf der "stroboskopischen Scheibe" oder dem "Schnellseher" die Bewegung selbst in ihrer natürlichen Stetigkeit wahrnehmen. Da aber die einzelnen Phasen nur so schnell aufeinander folgen, wie man es durch beliebig schnelles Drehen der Scheibe wünscht, so ist in dem Schnellseher nicht bloss ein Mittel angenehmer Unterhaltung gegeben, sondern derselbe ermöglicht auch ein genaues Studium der einzelnen Bewegungsphasen, wie ein solches bei der Bewegung selbst ganz unmöglich ist. Eins allerdings macht auf den Beschauer einen höchst eigentümlichen Eindruck: der springende Mensch, das laufende Pferd machen zwar alle Einzelphasen des Sprunges und des Laufens durch, kommen aber nicht von der Stelle, da ja die Scheibe nicht von der Stelle kommt. So lässt das im Schnellseher gesehene Bild eines Laufenden uns an den Soldaten denken, der den "Laufschritt auf der Stelle" übt.

Es liegt der Gedanke nahe, den sehr kostspieligen Apparat im kleinen herzustellen, indem man die Momentbilder in dem allbekannten "Zootrop

oder "Lebensrad" anordnet. In der That hat Anschütz einen solchen Apparat hergestellt, ob aber in demselben das fatale Ineinander-Überfliessen der Einzelbilder, wie es in dem genannten Kinderspielzeug sich so unangenehm darbietet, vollständig vermieden wird, können wir weder von eigenem Ansehen berichten, noch finden wir darüber Zuverlässiges in Fachschriften.

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