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#2063

Industrie-Blätter., 1891, Nr. 21, S. 163-164; [186]-187

[Industrie-Blätter. 1891, Nr. 21, S.163-164; [186]-187 Der ...]

Industrie-Blätter. 1891, Nr. 21, S.163-164; [186]-187

Der Schnellseher.

Die Zeitungen haben in letzterer Zeit häufig kurze Mittheilungen über den neuen tragbaren Schnellseher-Apparat des Herrn Ottomar Anschütz und dessen Vorführung vor den Kaiserlichen Majestäten gebracht. Diese Mittheilungen waren aber nicht im Stande, eine bestimmte Vorstellung des Apparates zu geben; deshalb ist eine genauere Schilderung, welche der Schl. Ztg. entlehnt, wohl nicht ohne Interesse.

Der Anschütz'sche Schnellseher, in seiner anfänglichen, wie in seiner vervollkommneten Form, ist ein Apparat, durch den es möglich ist, rasche Bewegungen aller Gegenstände in den photographischen Bildern derselben sich vollziehen zu sehen und dabei zugleich sie beliebig in allen einzelnen Momenten der dargestellten Bewegung und Handlung so genau zu beobachten, wie es uns in der Wirklichkeit die Natur unseres Auges nicht gestattet. Einen Vorläufer, dessen Herstellung und Leistungen dasselbe Princip wie dem Schnellseher zum Grunde liegt, hat letzterer in dem bekannten Kinderspielzeug "Lebensrad" gehabt. Die Wirkung beider beruht in der Eigenthümlichkeit unserer Augen, Lichteindrücke von höchster Schnelligkeit in sich aufzunehmen, aber nicht, sich ebenso schnell davon zu befreien. Die einmal von einer Erscheinung afficirten Sehnerven bleiben noch für eine Zeitlang im Zustande der Erregung. Dadurch dünkt ihnen der aufgefasste Vorgang länger zu dauern, als er in Wirklichkeit währt; wie schon die vor unsern Augen im Kreise geschwungene Kohle als eine feuerige Kreislinie, der springende Funken des Blitzes als eine blendend helle Zickzacklinie etc. erscheint. Lässt man in schnellster Aufeinanderfolge elektrische Funken, wie sie unsere Apparate in Dauer von Zehntausendstel einer Secunde erzeugen, aufleuchten, so wird man in Folge jener Eigenschaft des Auges nur einen Funken zu sehen vermeinen. Dasselbe geschieht, wenn die Netzhaut in grosser Schnelligkeit die Lichteindrücke von an ihr vorübereilenden Bildern empfängt, wie durch das Hineinblicken in die schmalen Lichtspalten der Trommel des sog. "Lebensrades" die Eindrücke der gegenüber diesen Spalten befindlichen Bilder, der Momente einer Bewegung. Indem sich immer wieder das Bild des nächstfolgenden Momentes durch die Spalte zeigt, welche - Dank der Schnelligkeit der Umdrehung - stets dieselbe und eine feststehende zu sein scheint, glaubt das Auge die ganze Folge von Einzelbewegungen auf derselben Stelle durch denselben Gegenstand ausführen zu sehen. Blickt man, statt durch die Spalte, von oben her in die schnell gedrehte Trommel hinein, so sieht man kein Einzelbild, sondern nur ein allgemeines schattenhaftes Grau.

Was den Anschütz'schen Schnellseher zumeist von dem "Lebensrade

unterscheidet, ist einmal der Umstand, dass die auf der Scheibe des erstem rotirenden Bilder ihre immer wieder unterbrochene Beleuchtung durch die elektrischen Funken eines Inductionsstromes erhalten, durch welchen jedes Bild stets nur für die Dauer von einem Zehntausendtheil einer Secunde erhellt wird. Einen anderen wesentlichen Unterschied bedingt die Art der so beleuchteten Bewegungsbilder selbst. Es sind Reihen von 16-24 photographischen Aufnahmen der aufeinander folgenden Momente einer Bewegung, deren jeder vielleicht nur eine halbe Secunde und weniger von seinem Beginn bis zu seinem Ausklingen währt. Solche von Anschütz aufgenommenen Bewegungen sind: der Trab, der englische Schritt, der Galopp, der Sprung eines Pferdes unter seinem Reiter über Barriere und Graben, der stürmische Lauf einer Meute, der Sprung eines Circusklowns über den Kopf eines Genossen; der [Speerwurf] Speer- und Diskuswurf eines nackten Athleten; der Tanz eines Mädchens. Diese Aufnahmen gehen in vollendeter Klarheit und Bestimmtheit in allen Einzelheiten nicht nur im kleinsten Massstäbe aus dem Apparate hervor, sondern erscheinen so auch bei bedeutender Vergrösserung. Anschütz

Vorgänger auf dem Gebiete solcher Aufnahmen von Momentreihen einer Bewegung konnten nie gleich vollkommene Ergebnisse erlangen, da sie nur versuchten, mit einer einzelnen Dunkelkammer zu arbeiten. Anschütz stellt dem bewegten Objecte gegenüber ebenso viele Dunkelkammern neben einander auf, als er Einzelmomente einer Bewegung von Menschen oder von Thieren aufnehmen will, also bis zu 24. Diese Dunkelkammern stehen bei der Aufnahme untereinander in festem Zusammenhange und sind durch elektrische Leitungen so verbunden, dass die Aufnahmen in schnellster Aufeinanderfolge und zugleich in genau gleichen bestimmten Zwischenräumen gemacht werden können. Durch eine Art elektrisches Metronom, welches das Öffnen und Schliessen der Apparate bewirkt, wird das ermöglicht.

Jede dieser Bilderreihen wird durch den Schnellseher für unser Auge zum lebendigen Bild der einen Bewegung gemacht. Die einzelnen Momentaufnahmen einer Serie, Glasdiapositive von 10 cm Durchmesser, werden in richtiger Folge von dem ersten Anheben der Bewegung an, bis zum ersten Wiedereintritt der Ruhe, auf den Saum einer Scheibe befestigt, welche mit grosser Schnelligkeit um eine horizontale Axe gedreht werden kann. Hinter dem Rücken dieser vertikal stehenden Scheibe, senkrecht über ihrem Mittelpunkte, ist eine spiralförmig gewundene Geissler'sche Röhre angebracht. Immer während der verschwindend kurzen Dauer von 1/2000-1/1000 einer Secunde zuckt ein elektrischer Funken auf und beleuchtet das sich vorüberbewegende Glasbild von der Rückseite her. Das Auge vermag die immer wieder unterbrochene Beleuchtung nur als eine fortdauernde und dadurch jedes einzelne von ihr beleuchtete Bild als eine Fortsetzung des auf dem vorangegangenen dargestellten Bewegungsmomentes aufzufassen. So sieht man bei der Umdrehung der Scheibe beim Vorbeipassiren der Glasbildplatten das beleuchtete Bild des Pferdes, Reiters, Speerwerfers, Läufers etc. wirklich die Bewegungen ausführen und dieselben immer wiederholen, so lange die Scheibe gedreht wird und zwar in der Schnelligkeit, mit der diese Drehung erfolgt. Der Eindruck ist ein fast unheimlicher. Man erblickt das Flattern der Mähne und des Schweifes der Pferde, das Aufwirbeln des Staubes unter ihren Hufen, das Zurückwerfen und Spitzen der Ohren, das Sichheben und Senken des Reiters im Sattel etc. Die im Schritte, Trabe oder Galopp dargestellten Thiere, ebenso wie die marschirenden Menschen, scheinen bei aller Lebhaftigkeit der Bewegungen immer auf derselben Stelle zu beharren. Die springenden Menschen und Pferde verschwinden wohl in der Richtung des Sprunges, aber unmittelbar und ununterbrochen folgt jedem dorthin Verschwundenen sein Doppelgänger, er selbst, von der entgegengesetzten Seite her, um genau dieselben Bewegungen auszuführen.

Der Anschütz'sche Schnellseher, in dieser ihm gegebenen ersten Gestalt und Einrichtung wurde von dem Erfinder vor drei Jahren dem Kultusminister, den hervorragenden Männern der Kunst und Wissenschaft Vorgeführt. In dem folgenden Jahre miethete Anschütz einen geeigneten Raum an der Charlottenstrasse in Berlin, wo er fortan mit einer Ausstellung seiner Augenblicksphotographien und seiner immer vermehrten Folgen von Bewegungsbildern auch die seines Schnellsehers in verbesserter Gestalt verband. Dort ist der ganze Apparat und auch sein Lenker durch eine Wand verdeckt. Nur in einem kleinen viereckigen Ausschnitt derselben erscheint das vom elektrischen Licht der hinter ihm angebrachten Geisslerschen Röhren durchleuchtete Glasbild bei den dem Beschauer unsichtbar bleibenden Umdrehungen der Scheibe, auf deren Rand es befestigt ist. Man sieht nicht deren Vorüberfliegen, die Glastafel scheint auf ihrer Stelle zu bleiben. Aber auf ihr bewegt sich desto lebhafter das gleichsam zur Wirklichkeit gewordene Bild. Ein hoher Grad der Vollkommenheit war in dieser Einrichtung erreicht. Doch hat Herr Anschütz an der Vervollkommnung noch weiter gearbeitet. So hat er im vorigen Jahre für seinen Schnellseher eine neue verbesserte Form hergestellt. In dieser führte er denselben dem Kaiserpaar und dem Grossherzog von Baden vor. Durch eine von der früheren abweichende Anordnung der drehenden Scheiben und der Bilder auf ihnen, gelang es ihm, mehrere der ersteren neben einander in einem Gehäuse von der Form einer langen, halbrund überwölbten Truhe so unterzubringen, dass es nur einiger leicht zu erlernenden Handgriffe bedarf, um das Ganze in Thätigkeit zu setzen und sechs verschiedene Serien von Bewegungsbildern an einer Seitenwand dieses Gehäuses in einer Reihe nebeneinander hervortreten und zur Erscheinung gelangen zu lassen. In dieser Form kann der Schnellseher überall hingetragen und vorgeführt werden. Die bisherigen Folgen von Bewegungsbildern hat Anschütz für den neuen Apparat wieder um einige besonders überraschende vermehrt, darunter das Schubkarrenschieben, der Akrobat, der Parademarsch zweier Gardeinfanteristen und das "sprechende" Portrait. Letzteres ist das einer jungen hübschen Mutter mit ihrem kleinen Buben auf dem Schooss, welcher das von den Locken gezogene Hütchen schwenkt und ersichtlich freudestrahlend einen lauten Ruf ausstösst ("der Kaiser hoch! und hoch!"). Das Bild, dessen Halbfiguren in viel grösserem Massstäbe auf der Glasplatte gegeben werden konnten als die Vollfiguren der Reiter auf den bewegten Pferden etc. und so das ganze lustige Mienenspiel, den Wechsel des lachenden Ausdruckes der Lippen, Augen und Wangen während des Hutschwenkens und Hochrufens deutlich in allen seinen momentanen Übergängen erkennen lassen, erscheint wie ein kleines Wunder. Man meint die fröhliche Kinderstimme von diesen sich öffnenden und wieder schliessenden Lippen des Knabengesichts zu vernehmen. Man denkt sogar daran, durch Mithülfe des Phonographen die Täuschung noch weiter zu treiben. Dann wäre das "sprechende Bild" allerdings zur Wahrheit geworden.

Anschütz glaubt noch eine andere Vervollkommnung seiner Erfindung durchführen zu können. Ihm genügt die Zahl von 24 Augenblicksaufnahmen der Phasen einer Bewegung noch nicht. Er arbeitet bereits an der Construction eines Apparates, welcher die Gewinnung von 500 auf einander folgenden Bewegungs-Momentbildern, und zwar gleich von stereoskopischen möglich macht, und ebenso an einem anderen, durch welchen dann jede solche Folge zum einheitlichen, körperhaften Gesammtbewegungsbilde zusammengeschlossen und so vorgeführt würde. Bei einem aus einer solchen Masse von Einzelheiten zusammengesetzten fiele dann freilich alles annähernd ruckweise in den Übergängen fort, und in durchaus continuirlichem Fluss rollte sich eine so dargestellte Handlung in körperlicher Realität erscheinend vor unseren Blicken ab.

(Nach Ctztg. d. Hann. Wochenbl.)

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vollendeter Klarheit und Bestimmtheit in allen Einzelheiten nicht nur im kleinsten Massstabe aus dem Apparat hervor, sondern erscheinen so auch bei bedeutender Vergrösserung. Anschütz' Vorgänger auf dem Gebiete solcher Aufnahmen von Momentreihen einer Bewegung konnten nie ähnlich vollkommene Ergebnisse erreichen, da sie es nur versuchten, mit einer einzigen Dunkelkammer zu arbeiten. Anschütz stellt dem bewegten Objecte gegenüber ebenso viele Dunkelkammern nebeneinander auf, als er Einzelmomente einer Bewegung von Menschen oder Thieren aufnehmen will, also bis zu 21. Diese Dunkelkammern stehen bei der Aufnahme untereinander in festem Zusammenhange und sind durch elektrische Leitungen so verbunden, dass die Aufnahmen in schnellster Aufeinanderfolge und zugleich in genau gleichen bestimmten Zwischenräumen gemacht werden können. Durch eine Art von elektrischem Metronom, welche das Öffnen und Schliessen der Apparate bewirkt, wird das ermöglicht.

Jede dieser Bilderreihen wird durch den Schnellseher für unser Auge zum lebendigen Bilde der einen Bewegung gemacht. Die einzelnen Momentaufnahmen einer Serie, Glasdiapositive von 10 cm Durchmesser, werden in ihrer richtigen Folge, von dem ersten Anheben der Bewegung an, bis zum ersten Wiedereintritt der Ruhe, auf dem Saum einer Scheibe befestigt, welche mit grosser Schnelligkeit um eine horizontale Achse gedreht werden kann. Hinter dem Rücken dieser vertikal stehenden Scheibe, senkrecht über ihrem Mittelpunkte, ist eine spiralförmig gewundene Geissler'sche Röhre angebracht: Immer während der verschwindend kurzen Dauer von 1/2000 - 1/4000 einer Sekunde zuckt ihr elektrischer Funken auf und beleuchtet das sich vorüberbewegende Glasbild von der Rückseite her. Das Auge vermag die immer wieder unterbrochene Beleuchtung nur als eine fortdauernde und durch sie jedes einzelne von ihr beleuchtete Bild, welches auf das vorige nach 3/100 einer Sekunde folgt, nur als eine unterbrochene Fortsetzung des auf dem vorangegangenen dargestellten Bewegungsmomentes aufzufassen.

So sieht man bei der Umdrehung der Scheibe beim Vorbeipassiren der Glasbildplatten das beleuchtete Bild des Pferdes, Reiters, Speerwerfers, Läufers, Springers wirklich die Bewegung oder Action ausführen und dieselbe immer wiederholen, so lange die Scheibe gedreht wird, und zwar in der Schnelligkeit, mit der diese Drehung erfolgt. Der Eindruck ist ein fast unheimlicher. Man erblickt das Flattern der Mähne und des Schweifes der Pferde, das Aufwirbeln des Staubes unter ihren Hufen, das Zurückwerfen und Spitzen der Ohren, das Sich-Heben und Senken des Reiters im Sattel, das Wehen seiner Rockschösse: man sieht das wechselnde Spiel der Muskeln und der Glanzlichter auf dem Hals, der Brust, der Kruppe und den Beinen des Pferdes. Die im Schritte, Trabe oder Galopp dargestellten Thiere scheinen, ebenso wie die marschierenden Menschen, bei aller Lebhaftigkeit und Wahrheit der Bewegungen immer auf derselben Stelle zu verharren. Die springenden Menschen und Pferde verschwinden wohl in der Richtung des Sprunges, aber unmittelbar und ununterbrochen folgt jedem dorthin Verschundenen sein Doppelgänger, er selbst, von der entgegengesetzten Seite her, um genau dieselbe Bewegung von Neuem auszuführen.

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