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#2058

Illustrirte Zeitung. Nr. 2218, 02.01.1886, S. 21

[Illustrirte Zeitung. Nr. 2218, 2.1.1886, S.21 Polytechnische ...]

Illustrirte Zeitung. Nr. 2218, 2.1.1886, S.21

Polytechnische Mitteilungen.

Augenblicksaufnahmen und ihre neusten Erfolge.

Durch die Anwendung der Trockenplatten ist es dem Photographen möglich geworden, Lichteindrücke von sehr kurzer Dauer zu fixiren. Früher war eine Zeit von 16 bis 20 Secunden nothwendig, um eine gute Photographie herzustellen; jetzt dauert im Porträtatelier des Photographen, zumal wenn es sich um die Aufnahme kleiner Kinder handelt, die Belichtung nur 1/2, 1/4 oder 1/8 Secunde.

Aber auch diese Bilder sind noch keine sogen. Augenblicksaufnahmen; als solche werden nur diejenigen photographischen Bilder betrachtet, bei denen die Exposition der lichtempfindlichen Platte nur 1/20, 1/50 oder gar nur 1/1000 Secunde dauert. Eine so ausserordentliche Kürze der Belichtungsdauer wird nothwendig, wenn der zu photographirende Gegenstand in fortgesetzter Bewegung begriffen ist. Je schneller sich der aufzunehmende Körper aus dem Gesichtsfelde des photographischen Apparates verschiebt, desto schwerer ist es, klare und gut durchgearbeitete Bilder zu erhalten.

Verhältnismässig leicht ist es, von dem bewegten Gegenstande klare Aufnahmen zu erhalten, wenn derselbe aus den Apparat zukommt oder sich direkt von ihm entfernt. In diesen Fällen verschieben sich die Konturen nur sehr wenig gegen das Gesichtsfeld, und darauf kommt es an. Unvergleichlich grösser wird die Schwierigkeit, wenn der Gegenstand sich vor der Linse vorbeibewegt. Ein Spaziergänger, der im langsamsten Tempo vorübergeht, ist für die photographische Aufnahme ein schwierigeres Object als der rascheste Schnellläufer, der gerade auf den Apparat zukommt. Von einem aus den Beobachter zustürmenden Eisenbahnzug erhält man leichter ein gutes Bild als von einem langsam vorbeifahrenden Lastwagen.

Wird ein Wagen oder eine Locomotive während der Fahrt photographirt, so erscheinen alle Theile in einer Stellung, die sie auch während des ruhigen Stehens zeigen: eine solche Momentaufnahme zeigt uns gar nichts neues und kann uns höchstens dazu dienen, die ausserordentliche Lichtempfindlichkeit der Trockenplatten zu prüfen,

Ganz anders ist dies bei der Bewegungen von Menschen und Thieren; hier bietet der Körper während eines Schrittes oder eines Sprunges in jedem Zeitpunkte der Bewegung ein anderes Bild, und dabei sind alle diese Stellungen, die der Körper während der Bewegung zeigt, von der Ruhelage desselben während des Stehens durchaus verschieden. Für das wissenschaftliche Studium der Bewegungen von Menschen und Thieren genügt es daher nicht, dass man den bewegten Körper einmal photographirt: man muss vielmehr ganze Serien von Aufnahmen herstellen; während ein Schritt, resp. ein Sprung ausgeführt wird, muss die Bewegung durch zahlreiche (10 bis 12), in kurz aufeinanderfolgenden Zeitintervallen gewonnene Momentbilder fixirt werden.

Eine solche Serie, ein Pferd im Sprunge darstellend, wird hiermit den Lesern der "Illustrirten Zeitung" in einer verkleinerten Reproduction vorgeführt. Die zehn Bilder sind zusammenhängend während des Sprunges hergestellt; der ganze Sprung währte etwa 3/4 Secunden, das Zeitintervall zwischen je zwei Aufnahmen betrug genau 1/10 Secunde, die Exposition jeder einzelnen lichtempfindlichen Platte dauerte 1/1000 (eintausendstel) Secunde. Auf den Originalaufnahmen hat das Pferd eine Länge von 11 Mmtr.: diese Bilder wurden auf die fünffache Linearvergrösserung gebracht, ohne dass ein merklicher Mangel der Schärfe in den Conturen hervortritt. Nach diesen Aufnahmen sind obige Illustrationen wieder verkleinert worden. - Darstellungen wie die vorliegenden zu erhalten, ist die schwierigste Aufgabe, die sich die Photographie überhaupt stellen kann. Schon seit mehreren Jahren hat man sich vergeblich um die Lösung des Problems bemüht. Serienaufnahmen rasch bewegter Körper mit vollkommener Wiedergabe des gesammten Details zu gewinnen, gelang nicht; selbst die hervorragendsten Photographen, der Amerikaner Muybridge und der französische Physiolog Marey, erhielten nur Silhouetten, also anstatt plastisch modellirter Körper die blossen Umrisse derselben. Erst der ungewöhnlichen technischen Geschicklichkeit und der opferwilligen Energie des deutschen Photographen Ottomar Anschütz in Lissa (Posen) ist es gelungen, die Aufgabe zu lösen; er hat damit ein Material geschaffen, das für die Wissenschaft wie für die Kunst gleich bedeutsam ist.

[Bildunterschrift] Ein photographirter Pferdesprung in zehn Augenblicksaufnahmen von Ottomar Anschütz in Lissa

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