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#1387

Hamburger Fremdenblatt, 11.06.1896, Nr. 135

[Hamburger Fremdenblatt 11.6.1896, ...]

Hamburger Fremdenblatt 11.6.1896, Nr.135

Kinematograph-Lumière

Es ist geradezu erstaunlich, was der nimmer rastende Menschengeist Alles erfindet, und wie er bemüht ist, der Natur im harten Ringen ihre Geheimnisse zu entreissen. Einer solchen Probe von menschlicher Intelligenz wohnten wir gestern in den Räumen der Automaten-Commandit-Gesellschaft, Kobrow u. Co., Kaiser Wilhelm-Strasse, in kleinem, geschlossene, Kreise bei. Es handelte sich hier um eine Erfindung von grosser Tragweite, die für die ganze Entwicklung der Photographie von einschneidender Bedeutung sein dürfte. Die Momentphotographie von Anschütz, das Kinetoskop von Edison und andere ähnliche Erfindungen sind nur die Vorläufer, vielleicht die Wegweiser für den Kinematographen der Gebr. Lumière aus Lyon gewesen. Nur ein Wunsch wurde gestern noch in uns laut (und wann hörte der Mensch wohl auf zu wünschen), und zwar das Verlangen nach Farbe und den zarten Farbetönen, die dem Bilde noch das einzig Fehlende, die Glaubwürdigkeit geben. Der grosse Vorzug der neuen Erfindung besteht darin, dass anstatt der beim Kinetoskopen nur zollgrossen beweglichen Figürchen hier ganze Strassenscenen und Vorgänge mit Hunderten von Menschen in natürlicher Grösse vorgeführt werden. Dieselben erscheinen, von dem Kinematographen auf eine gespannte Leinewand geworfen, keineswegs als flache Schattenrisse, sondern vollkommen plastisch; Landschafts- [Landschaftsbilder] und Architekturbilder zeigen eine Perspektive, wie die besten Panoramabilder. Alles, was in der Natur lebt und sich bewegt, der Verkehr, der auf Strassen und Plätzen fluthet, die Wogen des Meeres, die sich schäumend überstürzen und in weissem Gischt gegen die Klippen stürzen, der pfeilschnell daherbrausende Schnellzug mit seinem lebendigen Inhalt, der sich auf der Station hastend und drängend ergiesst, unsere Lieblinge, zwei kleine Babies, die sich beim Spielen erzürnen, in Thränen ausbrechen (man hört das Weinen förmlich!), oder der lebensvolle Stapellauf eines Schiffes mit seiner buntbewegten Zuschauermenge. Dies Alles sehen wir vor uns greifbar nahe, in unnachahmlicher Natürlichkeit. Die Vorführung der Bilder, welche durch einige erläuternde Worte des Herrn Dr. Lüttke eingeleitet wurden, erregte bei sämmtlichen Anwesenden eine ungetheilte Bewunderung und gerechte Anerkennung, die sich in wiederholten Beifallsäusserungen kund thaten. Jede halbe Stunde werden die Bilder in dem oben genannten Local gezeigt, und wir verfehlen nicht, auf diese hochinteressante Neuerscheinung nachdrücklich hinzuweisen.

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