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Berichte (auch: Verhandlungen) der deutschen physikalischen Gesellschaft, Braunschweig, 1910, S. 177-182
Über die Erfindung der Camera obscura
(Vorgelegt in der Sitzung vom 4. Februar 1910.) [Die Buchstaben der Zeichnung sind original italisch gedruckt ohne Bindestrich]
In einer in dem diesjährigen Jahrgang des photographischen Jahrbuches von Eder erscheinenden Arbeit habe ich gezeigt, dass schon lange vor Levi Ben Gerson (+ 1344) (Levi de Balueolis (1) die Camera obscura von Ibn al Haitam (2) (+ etwa 1039) benutzt worden ist. Ersterer verwendete sie zur Beobachtung von Sonnen- und Mondfinsternissen, letzterem gelang nur die Beobachtung der Sonnenfinsternis; die der Mondfinsternis und der Mondsichel glückte ihm nicht, und zwar wegen der geringen Intensität des Mondlichtes, die sich zuerst an den Spitzen der Sichel geltend macht. Eine sehr eingehende Theorie der Camera obscura und zwar in ihre Anwendung auf terrestrische Verhältnisse hat der hochbedeutende Kommentator und Bearbeiter von Ibn al Haitams Optik, Muhammed Ibn al Hasan Kamâl al Dîn Abu'l Hasan (Hosein) al Fârisî (3) (+ etwa 1320), gegeben. Dank dem Entgegenkommen von Herrn Dr. Juynboll habe ich die Leidener Handschrift (Katalog Nr. 1011) benutzen können. Die folgenden Ausführungen finden sich S. 314b-316a im Anschluss an die Behandlung von Ibn al Haitams Schrift über die Gestalt der Finsternis.
Die Versuchsanordnung ist die, dass in der Wand eines dunkeln Raumes sich ein Loch befindet; ihm gegenüber steht im Innern eine weisse Fläche, welche die durch das Loch eintretenden Strahlen auffängt.
Ich gebe nun im folgenden eine hier und da etwas gekürzte Übersetzung der Ausführungen von Kamâl al Dîn.
Wir bringen gegenüber dem Loch eine leuchtende Fläche an, deren eine Hälfte rot und deren andere grün ist. Auf ihr ziehen wir die gerade Linie a-b-g, von der sich a-b auf dem grünen und b-g auf dem roten Teil befindet. Der Durchmesser des Loches sei d-e-r, er ist parallel zu a-g. c ist sein Halbierungspunkt. Wir ziehen a-d, a-e, a-r und verlängern sie bis s, Ó, f; ebenso verlängern wir b-d, b-e, b-r nach l, m, n und g-d, g-e, g-r nach h, t, k. Ihre Enden sollen auf der zu der parallelen Linie f-h liegen. Die Linien a-d und b-r sollen sich in q, g-r und b-d in Õ, d-q und r-Õ in j schneiden. In dem Dreieck d-q-r ist grüne Farbe und ihr entsprechendes Licht (4). In dem Dreieck d-Õ-r ist rote Farbe und das ihr entsprechend" Licht. Es liege h-f zunächst unter Õ-q. Auf der ganzen Linie l-f ist grüne, auf der ganzen Linie n-h rote Farbe vorhanden. Die Farbe der Teile n-f und l-h ist rein, die Farbe auf l-n dagegen ist grün gemischt mit rot.
Das Dreieck a-s-f umfasst die von allen Punkten von d-e-er heraustretenden Abbilder (Sûra) des Punktes a, ebenso [Dreieck] b-l-n die entsprechenden Abbilder von b und [Dreieck] g-h-k diejenigen von g. Es ist klar, dass die Linien s-f, l-n, h-k einander gleich sind.
Ebenso durchsetzen die Abbilder sämtlicher Punkte von a-b-g die Öffnung d-e-r und gelangen auf Teile von h-f wie z.B. auf s-f. Die Linie h-l umfasst die Abbilder der Punkte des Endes g, ohne dass sich das Abbild eines Punktes von b-a beimischt; ebenso umfasst f-n die Abbilder der Punkte des Endes a, ohne dass sich ein Abbild eines Punktes von b-g beimischt. Bekannt ist, dass, wenn h-f näher dem Loch liegt, die Zahl der Punkte, deren Abbilder die beiden Teile (h-l und n-f) umfassen, geringer, und diejenige, für die eine Mischung eintritt, grösser ist. Es gibt eine Grenze, an der man nur gemischte Farbe wahrnimmt. Ebenso ist es, wenn h-f sich unterhalb von Õ-q befindet; dieselbe Schlussweise wendet man an, wenn der leuchtende Körper aus mehr als zwei Teilen besteht. Damit sind die Figuren der (auf der Auffangswand) entstehenden Lichter (Bilder) behandelt, freilich nur für die Durchmesser. Kennt man nun das Verhalten eines einzigen Durchmessers, so ergibt sich daraus dasjenige der anderen.
Tritt das Abbild von a-b-g nur durch einen Punkt, etwa c, so entsteht Licht auf t-m-Ó, t-m besitzt rein rote und m-Ó rein grüne Farbe. Das Abbild eines jeden Punktes von a-b-g, das nach einem Punkt von t-m gelangt, ist ein Punkt.
Dementsprechend sagt man, der Kegel, der zwischen irgend einem leuchtenden Abbild (Objekt), das einem äusserst kleinen runden Loch gegenübersteht, und dem Mittelpunkt des Loches konstruiert wird und der zu einer dem Loch parallelen Ebene fortschreitet, erzeugt durch sein Licht auf letzterer eine Figur, die der Figur des Objektes ähnlich ist, aber die umgekehrte Lage hat. Wir wollen dies Licht das "mittlere" (5) (mutawassi t) Licht nennen.
Vermehrt man die Zahl der leuchtenden Objekte, so vermehrt man ihre "mittleren" Lichter. Zu beachten ist aber, dass das Licht des von dem Loch rechts gelegenen Objektes links erscheint und das Licht des links gelegenen rechts erscheint, und dass das Licht des unten gelegenen oben und das des oben gelegenen unten erscheint.
Die Figuren (Schakl) der Lichter sind den Figuren der Objekte ähnlich, und zwar ist ihre Ähnlichkeit zu den Gestalten der Objekte ein und dieselbe.
Das Licht eines jeden Objektes gelangt auf allen Kegeln, nie zwischen ihm und zwischen allen Punkten der Lochfläche konstruiert sind, zu dem ihm gegenüberstellenden Körper. Die Basen dieser Kegel auf der gegenüberstehenden Fläche sind untereinander gleich. Zu sich entsprechenden Punkten all dieser Basen schreitet das Licht von einem Punkt des Umfanges des Objektes fort. Alle diese Basen greifen ineinander über. Es begrenzt sie der Kegel, der zwischen dem Objekt und einem Punkt des Umfanges des Loches konstruiert ist, wenn man letzteren auf dem Umfang des Loches eine ganze Umdrehung machen lässt. Zieht man alle Linien, die von einem Punkt des Umfanges des Objektes zu einem Punkt des Umfanges des Loches gehen, so ist, wenn sie auf die parallele Fläche auftreffen, zwischen ihrem Auftreffort auf dem Umfang der Basis und der entsprechenden Stelle des Umfanges des mittleren Lichtes ein und derselbe Abstand. Die Endpunkte dieser Linien beschreiben eine Linie, welche eine Figur begrenzt, die ähnlich dem mittleren Licht ist. Sie ist grösser als dieses und das mittlere Licht hält sich in der Mitte. Ist das Loch ein Kreis und das Objekt ein Kreis, so ist auch die Gestalt des gesamten entstehenden Lichtes ein Kreis. Dasselbe ist der Fall, wenn das Objekt der Gestalt des Loches ähnlich ist und dieselbe Lage wie letzteres hat. Ist das Loch kreisförmig und besitzt das Objekt Winkel, so ist, falls das Loch sehr klein ist, die Gestalt des entstehenden Lichtes sehr ähnlich der Gestalt des "mittleren" Lichtes. Die Ähnlichkeit nimmt ab, wenn die Weite des Loches zunimmt, und zwar verschwinden zuerst die Winkel. Endlich ist die Ähnlichkeit lediglich im Licht, der Farbe, oder dem, was sich ihr nähert, verborgen (6). In dem Masse, als der Kreis des Loches grösser wird, greifen die Lichter ineinander über, zuerst mischen sich ihre Umfänge, während die Mitte bei der Veränderung unverändert bleibt. Je enger das Loch und je grösser der Abstand ist, um so ähnlicher ist die Gestalt in der Mitte dem Objekt und eine um so geringere Mischung tritt am Umfang ein. Aus diesem Grunde sieht man um das Licht, welches von dem Sonnenkörper aus in einem engen Loch eindringt und auf einen rein weissen Körper fällt, eine Erscheinung, die dem Halo entspricht; sie weist die Farben des Regenbogens auf und zwar in derselben Anordnung; einen Hinweis hierauf habe ich bei der Untersuchung des Halos vorweg genommen. (7)
Ganz entsprechendes findet man, wenn einem kleinen Loch, das in einen Raum führt, zu dem sonst kein Licht gelangt, ein Stück einer weissen Wolke gegenübersteht. Man sieht in diesem Raume einen Abschnitt von weissem Licht, entsprechend dem Stück der Wolke, aber in umgekehrter Lage. Bewegt sich die Wolke nach einer Seite, so bewegt sich auch das Licht aber nach der entgegengesetzten Seite. Ebenso verhält es sich, wenn ein grosser Vogel nahe am Loch vorbeifliegt. Das Abbild seiner Farbe sieht man auf dem dem Loch gegenüberstehenden Körper in einer Gestalt, die ihrer Gestalt ähnlich ist, und man sieht, dass sie sich in entgegengesetzter Richtung bewegt.
Aus allem, was wir gesagt haben, ergibt sich ein deutlicher Beweis für die Ursache, warum das Licht der Sonne, das durch enge Öffnungen durchtritt, auf parallelen Wänden kreisförmig erscheint, welche Gestalt auch das Loch haben mag, und dass es nur in der Gestalt der Öffnung erscheint, wenn diese weit ist, und dass das Licht des Mondes stets in der Gestalt der Öffnung erscheint.
Aus der eben mitgeteilten Untersuchung von Kamâl al Dîn geht hervor, dass dieser um 1300 lebende Gelehrte bereits eine vollkommen richtige Theorie der Lochkamera hatte, und dass er mit ihr auch irdische Gegenstände, wie Wolken und Vögel, auf einer weissen Wand beobachtete.
Weiter hat Kamâl al Dîn eine Beugungserscheinung beobachtet, von der er freilich annimmt, dass sie das Bild eines um die Sonne befindlichen Halos sei.
1) M. Curtze, Himmel u. Erde 13, 225, 1905.
2) Zu Ibn al Haitam vgl. z.B. E. W., Festschrift für Prof. Rosenthal. Leipzig 1906.
3) Vgl. H. Suter, Die Mathematiker und Astronomen der Araber und ihre Werke (Abhandl. zur Gesch. der math. Wissenschaften, Schlömilchs ZS. 45, 159, Nr. 389, 1900).
4) Dieser Ausdruck hängt damit zusammen, dass die Farbe als neben dem Licht existierend angenommen wird.
5) Der Grund für diese Bezeichnung ergibt, sieh aus dem Folgenden. Für den Scharfsinn unseres Gelehrten ist charakteristisch, dass er den Fall der punktförmigen Öffnung seinen weiteren Betrachtungen zugrunde legt.
6) Gemeint ist, dass die Ähnlichkeit nur noch eine ganz allgemeine ist.
7) Ein Versuch hat mir dies bestätigt.
Zeichnung
Die Figur entspricht dem Original. Daher ist auch nicht die Wand gezeichnet, in der sieh die Öffnung r-d befindet; Ó entspricht dem arabischen 'Ain, Õ dem Sâd, t dem Tâ.

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