Full Document


#4840

Berliner Börsen-Courier, 25.02.1913, Nr. 93

Der erste Kinotheater-Bau

Am Nollendorfplatz wird in den nächsten Tagen ein Kino eröffnet, das nicht wie seither üblich, in mehr oder minder geschickt umgebauten Räumen untergebracht sein wird, sondern wohl zum ersten Male in Deutschland ein eigenes Haus gebaut bekommen hat. Es dürfte damit ein neues Kapitel in der Baukunst, die Kinoarchitektur, anheben, und es ist erfreulich, feststellen zu können, dass dieser Anstalt mit einem künstlerisch vollendeten Bauwerk gemacht wird. Manches grosse und ganz grosse Bühnenhaus, das wir eben entstehen sahen, entbehrt leider der Qualitäten, die hier ein feinfühliger Baumeister erreicht hat.

Oscar Kaufmann, Erbauer des Berliner Hebbel- [Hebbeltheaters] und des Bremerhavener Stadttheaters, von dem die Freien Volksbühnen in Berlin und Wien gegenwärtig eigene Schauspielhäuser erhalten, ist der Mann, der diesem ersten Kinotheater vorbildliche Form gegeben hat. Die Aufgabe an sich ist ja einfach. Ausser dem Zugangsraum, der Eingangshalle, der Operationszelle und einer Art Bühnenrahmen für die weisse Flimmerfläche, den Ein- [Eingängen] und Ausgängen, bedarf es keiner Räumlichkeiten, die den Grundriss komplizieren könnten. Wenn das Grundstück, wie hier, einigermassen gerade geschnitten ist, so würde ein einfacher Kubus entstehen, der architektonisch in gute Form zu bringen wäre. Eine Erschwerung der Aufgabe oder, wenn man will, ein reizvoll-neuartiges Problem wäre die Erkenntnis, dass hier ein ganzes Haus nur aus Mauerflächen ohne jede Fensterunterbrechung zu gestalten wäre. Was sollen im Kino noch die Fenster, wo jeder von aussen einfallende Lichtstrahl lediglich als Störung empfunden werden muss? Kaufmann hat sehr geschickt diese charakteristische Eigentümlichkeit des Kinotheaters zu betonen gewusst. Er gliedert die Seitenwände in ganz leichter Profilierung durch fünf Öffnungen, aus denen als eigentlich starker Akzent je eine Plastik von Franz Metzner herausspringt. In der Vorderfront zieht er zwischen den beiden Eingängen die Kassenhalle in einem leichten Oval heraus, das mit einem famosen Tanzfries nach oben seinen Abschluss findet. Die darüber entstehende Nische füllt eine ebenfalls von Metzner geschaffene sitzende Figur. Den Abschluss nach den Seiten zu bringen zwei schmale, bis zum First durchlaufende bunte Glasfenster, die, von innen erleuchtet, allerlei Figuren und Szenen zeigen, wie sie der Film an den Augen vorübertanzen lässt. Dieser einfachen Klarheit gegenüber hat das Dach eine bewegtere Kontur und einen grünen Anstrich erhalten.

Im Zuschauerraum, der 800 Personen fasst, spürt man im gleichen Masse die feste Hand des Architekten, der sich seiner Wirkungen bewusst ist und auch ohne die in den Kinos sonst üblichen Harlekinaden auszukommen weiss. Die Brüstung des verdeckten Orchesters, die klare Kurve des weit vorgezogenen Ranges - das alles gibt es schon in diesem Kintopp - aparte Holztreppen, die zu dem Ranggeschoss emporführen, amüsante Beleuchtungskörper an der Decke, ein lebhaft profilierter Bühnenraum und als Beiwerk ein bisschen bunt angemalte plastische Ornamentik, das verleiht dem wahrhaft intimen Theaterraum die heitere Lebendigkeit.

Hier ist ein Bühnenhäuschen entstanden, so vornehm, so gefällig und so kultiviert, wie man es in unsern Grossstadtstrassen öfter sehen möchte. Man mag zu der Filmerei stehen wie man will: mit solch einer wohlgeratenen Architektur muss sie moralische Eroberungen machen.

Please enable Javascript

 

This site only works with Javascript enabled. Please check your browser settings and then reload this page. Thank you.