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#3694

Prometheus, 1892, (Jg. IV) Nr.159, S.37-43 + Nr.160, S.54-59 + Nr.161, S.70-75

[Prometheus 1892 (Jg.IV) Nr.159, S.37-43 + Nr.160, S.54-59 + ...]

Prometheus 1892 (Jg.IV) Nr.159, S.37-43 + Nr.160, S.54-59 + Nr.161, S.70-75

Von Dr. A. Miethe.

Die Analyse des Augenblicks.

Mit sechsunddreissig Abbildungen.

Die Physik befindet sich sehr oft einer Aufgabe gegenüber, deren Schwierigkeit auf den ersten Blick einleuchtet. Es giebt eine grosse Anzahl von Vorgängen, welche sich im kleinsten Zeitintervall abspielen, in einem so geringen Zeitintervall, dass unsere Sinne nicht im Stande sind, denselben zu folgen. Speciell unser Auge ist nicht darauf eingerichtet, Erscheinungen, welche in sehr kurzer Aufeinanderfolge eintreten, von einander zu sondern; das Netzhautbild bedarf einer gewissen Zeit, um wieder vollkommen zu verschwinden, so dass zwei Eindrücke, die innerhalb eines sehr kurzen Zeitintervalles auf einander folgen, im Bewusstsein mit einander verschwimmen. Unser Ohr ist in dieser Beziehung wesentlich günstiger gestellt. Die Tonwahrnehmung und die Möglichkeit, die Tonhöhe zu schätzen, beruht darauf, dass gerade das Ohr im Stande ist, rhythmische Schwingungen, von denen Hunderte und Tausende in einer Secunde sich folgen, in Bezug auf die Schnelligkeit ihrer Aufeinanderfolge wenigstens zu registriren. Ja, wenn wir den Ton irgend eines Instrumentes, z. B. den einer Trompete hören, so unterscheiden wir an demselben nicht nur die Tonhöhe, sondern auch die Klangfarbe. Und die Klangfarbe rührt, wie Helmholtz bewiesen hat, davon her, dass zu dem [Hauptton] Haupt- oder Grundton eine Anzahl bestimmter Obertöne hinzukommt, deren Auswahl die Klangfarbe bestimmt. Der schmetternde Ton der Trompete, den wir sehr wohl von dem weichen Ton einer Orgelpfeife unterscheiden können, ist z. B. durch eine grosse Anzahl unharmonischer Obertöne charakterisirt, welche im Ton der Orgelpfeife fehlen. Das Ohr ist also wohl geeignet, die rhythmischen Schwingungen, welche sich in kleinsten Zeitintervallen folgen, zu analysiren. Um für das Auge das Gleiche zu erreichen, hat die physikalische Forschung ausserordentlich sinnreiche Apparate erdacht, welche wenigstens für rhythmische Bewegungserscheinungen eine Analyse gestatten. Wir wollen versuchen, das Princip einer solchen Einrichtung hier kurz anzudeuten.

Gesetzt den Fall, es handelte sich darum, die Form der Schwingungen einer Stimmgabelzinke festzustellen, welche in der Secunde 500 Schwingungen ausführt, so leuchtet sofort ein, dass wir nicht mit dem blossen Auge im Stande sein werden, den Einzelheiten des Vorgangs zu folgen. Denken wir uns aber die Stimmgabel in einem dunkeln Zimmer schwingend und mit ihr gleichzeitig eine zweite Gabel, welche in derselben Zeit, in welcher die erste Gabel 500 Schwingungen vollführt, 499 Schwingungen macht, und ausserdem eine Einrichtung getroffen, dass die zweite Stimmgabel bei jeder ihrer Schwingungen einen elektrischen Funken auslöst, welcher die Zinken der ersten Stimmgabel beleuchtet, so werden wir während einer Secunde die erste Stimmgabel 499mal beleuchtet sehen; jeder Blitz also wird sie in einer etwas ändern Schwingungsphase sichtbar machen, und, da die Gabel 500 Schwingungen macht, so werden wir den Eindruck gewinnen, als ob dieselbe in Wirklichkeit in einer Secunde nur eine Schwingung vollführte, und da schliesslich die einzelnen Blitze in unserer Vorstellung vollkommen zusammenfliessen, werden wir die Gabel ganz langsam schwingen sehen und ihre Bewegung deutlich unterscheiden können. In ähnlicher Weise gelangt man dazu, Zeitintervalle mit der ausserordentlichsten Schärfe zu messen, aber alle diese Methoden sind immer nur anwendbar, wenn es sich um rhythmische Schwingungen handelt. Es giebt keine directe Methode, um irgend eine beliebige unregelmässige Bewegung, welche sich im kürzesten Zeitraum vollzieht, in ihren einzelnen Phasen zu studiren.

An dieser Stelle ist, wie auf so vielen Gebieten der Wissenschaft, die Photographie der Forschung zu Hülfe gekommen, und sie hat das scheinbar so schwierige Problem gelöst, irgend eine complexe Bewegung in ihren einzelnen Momenten zu analysiren und festzulegen. Diese Art der Photographie, Chronophotographie genannt, hat bereits nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der Kunst ganz erhebliche Vortheile gebracht, welche es angemessen erscheinen lassen, ihr eine kurze Betrachtung zu widmen.

Die Chronophotographie ist schon vor mehr als 20 Jahren durch den Amerikaner Muybridge zu einer ungeahnten Wichtigkeit gelangt, und in neuerer Zeit sind in dessen Fussstapfen der Deutsche Anschütz und in Frankreich besonders Marey getreten. Letzterer hat die Chronophotographie besonders in ihrer wissenschaftlichen Seite gepflegt, und ihm ist eine Anzahl ausserordentlich wichtiger Untersuchungen, die besonders der Physiologie und Biologie zu Gute gekommen sind, zu verdanken. Vor mehr als Jahresfrist hat Marey gewissermaassen vorläufig abschliessend über seine Untersuchungen der Pariser Akademie der Wissenschaften Bericht erstattet und denselben durch eine grosse Anzahl vorzüglicher chronophotographischer Bilder illustrirt. Wir sind heute in der Lage, unseren Lesern aus diesem Bericht (1) das Interessanteste mnitzutheilen und die Mareyschen Bilder in vorzüglicher Reproduction vorzuführen.

Die Methode Mareys weicht in wesentlichen Punkten von der seiner Vorgänger ab. Anschütz sowohl wie Muybridge benutzten sogenannte Serienapparate, oder besser Apparatserien, während Marey sich für seine Aufnahmen eines einzigen Apparates bedient. Wenn z. B. Muybridge die Phasen eines galoppirenden Pferdes aufnehmen will, bedient er sich dazu dreier Colonnen von Apparaten, jede zu 24 Stück. Jeder einzelne Apparat ist mit einem Fallverschluss ausgerüstet, und diese Verschlüsse werden durch irgend eine Vorrichtung in passenden Intervallen hinter einander ausgelöst. Die eine Colonne von Apparaten steht so, dass das galoppirende Pferd senkrecht auf dieselbe zukommt, die zweite fasst die Bewegung von der Seite, und die dritte von hinten. Auf diese Weise wird eine sehr vollkommene Analyse der Bewegung erzielt, allerdings mit einem ausserordentlichen Aufwand von Mühe und Kosten. Wenn trotzdem Muybridge eine ausserordentlich grosse Anzahl von Aufnahmen hergestellt hat, so beweist dies seinen kolossalen Fleiss und die Grösse der ihm zur Verfügung stehenden Mittel. Anschütz hat sich im Wesentlichen immer nur einer Colonne von Apparaten bedient, welche im Ganzen 12 bis 24 Einzelapparate enthielt, Marey ist in der Vereinfachung des Verfahrens noch weiter gegangen; er bedient sich einer einzigen Camera, wodurch er allerdings einen Nachtheil mit in den Kauf nimmt, nämlich den, dass der sich senkrecht zur Gesichtslinie fortbewegende Gegenstand gewissermaassen centralperspectivisch aufgenommen wird, und daher die ersten und letzten Bilder eine gewisse Verkürzung anfweisen, welche die Vergleichung der Bewegungsphasen nicht gerade erleichtert. Die Resultate aber sowohl, die Marey erzielt hat, als auch besonders die höchst geistreiche Einrichtung seiner Serienapparate, verdienen unsere ganz besondere Aufmerksamkeit.

Marey hat im Wesentlichen zwei Methoden eingeschlagen. Einmal hat er den bewegten Gegenstand mehrere Male auf derselben Platte aufgenommen und zweitens hat er für jede Aufnahme eine neue Platte benutzt. Beide Arten des Verfahrens müssen wir eingehend besprechen. Denken wir uns in Abbildung 38 eine weisse Kugel vor einem schwarzen Hintergrunde in parabolischer Bahn geworfen, so wird für unser Auge diese parabolische Bahn in Folge der Nachwirkung wie eine einzige ununterbrochene Linie erscheinen; stellen wir aber dem Hintergrund gegenüber einen photographischen Apparat auf, welcher mit einem continuirlichen Momentverschluss versehen ist, d. h. einem Verschluss, welcher im Lauf einer gegebenen Zeit eine gewisse Anzahl von Malen das Objectiv regelmässig öffnet und wieder schliesst, so werden wir als Bild der geworfenen Kugel auf der empfindlichen Platte die untere punktirte Linie in Abbildung 38 erhalten, und wenn die Zeitintervalle zwischen den einzelnen Aufnahmen vollkommen gleich sind, werden uns die einzelnen Abstände zwischen je zwei Bildern der Kugel ein Maass für die Geschwindigkeit derselben in dem betreffenden Augenblick abgeben. Der Apparat, welcher derartige Serienaufnahmen auf einer einzigen Platte ermöglicht, ist seiner Construction nach ausserordentlich einfach, und schematisch durch Abbildung 39 wiedergegeben. O ist das Objectiv, C die matte Scheibe, auf welcher es ein scharfes Bild des zu photographirenden Gegenstandes entwirft, D ist eine kreisförmige Scheibe, in welcher sich die Schlitze f befinden. Diese kreisförmige Scheibe wird durch ein Triebwerk mittelst der Kurbel M in rotirende Bewegung versetzt, so dass also bei jeder Rotation der Scheibe eine bestimmte Anzahl von Schlitzen vor der matten Scheibe vorbeigeht. Zum Zweck der Aufnahme wird einfach die matte Scheibe durch die empfindliche Platte ersetzt, die Kurbel M in passend schnelle Rotation versetzt und im richtigen Augenblick das Objectiv O geöffnet. Selbstverständlich müssen solche Aufnahmen stets vor einem schwarzen Hintergrund hergestellt werden, weil ein heller Hintergrund die Platte verschleiern würde und die einzelnen Bewegungsphasen in diesem allgemeinen Schleier nicht mehr zum Ausdruck kommen könnten. Die Art der so gewonnenen Aufnahmen zeigen die Abbildungen 40 und 41, welche einen Menschen im Schritt und im Lauf darstellen; Abbildung 42 dagegen zeigt ein galoppirendes arabisches Pferd; man sieht hier, dass die Einzelaufnahmen bei der grossen Seitenausdehnung des Pferdekörpers einander theilweise decken, so dass ein ziemlich schwer entwirrbares Chaos entsteht. Man wird also bei ansgedehnteren Gegenständen entweder die Anzahl der Aufnahmen während eines Zeitintervalles nicht über eine gewisse Grenze hinaus wachsen lassen dürfen, oder man muss Einrichtungen treffen, um die wirklich abgebildete Fläche des aufgenommenen Gegenstandes auf das thunlich kleinste Maass zu beschränken. Dieser letztere Zweck ist von Marey in höchst genialer Weise folgendermaassen erreicht worden: er hat die zu photographirende Figur, z. B. einen laufenden Menschen, ganz in schwarzen Sammet gekleidet (Abb. 43) und nur auf den der Camera zugewandten Gliedmaassen silberne Litzen und blanke Knöpfe angebracht, in der Weise, wie es durch die Abbildung deutlich gezeigt wird. Der Effect dieser Einrichtung ist der, dass die einzelnen Phasen der Bewegung in viel kürzerem Zeitraum aufgenommen werden können, ohne sich gegenseitig zu verdecken. Beispiele solcher Aufnahmen geben die Abbildungen 44 und 45; diese Aufnahmen stellen gewissermaassen das Schema der Bewegung dar, und Marey hat es sich angelegen sein lassen, aus denselben vergleichende Schlüsse zu ziehen; so hat er z. B. einen Menschen, ein Pferd und einen Elephanten in Bezug auf ihre Beinbewegung im Schritt mit einander verglichen und dadurch vom vergleichsanatomischen Standpunkt sehr interessante Aufschlüsse über die Functionen der einzelnen Muskeln bei diesen drei principiell gleich gebauten Wesen gewonnen. (Abb. 46, 47, 48)

Es ist klar, dass auf diesem Wege zwar sehr wichtige Resultate gewonnen werden können, dass aber das Anwendungsgebiet bei derartig einfachen Apparaten ein ausserordentlich beschränktes ist. Für viele Zwecke wird es unbedingt nöthig sein, die einzelnen Aufnahmen auf verschiedenen Platten zu machen, und hierzu hat Marey einen ausserordentlich sinnreichen Apparat construirt, auf dessen Einzelheiten wir näher eingehen wollen.

Der Momentverschluss ist derselbe wie bei dem vorhin beschriebenen Apparat, nur ist mit ihm ein zweiter Mechanismus verbunden, welcher das Auswechseln der empfindlichen Platten gleichzeitig mit dem Öffnen des Momentverschlusses besorgt.

Dieser wesentlichste Teil des Apparates scheint ververhältnismässig sehr complizirt, das Prinzip desselben aber kann leicht klar gemacht werden. Als empfindlicher Schicht bedient sich Marey einer biegsamen Haut, auf welche die lichtempfindliche Substanz aufgetragen ist. Solche biegsamen Häute können mit Hülfe der neueren Technik in fast unbegrenzter Länge hergestellt werden, ja man ist so weit gegangen, empfindliche Schichten von 60 m Länge bei einer Breite von 20 cm anzufertigen.

Ein passendes Stück eines derartigen empfindlichen Bandes wird abgeschnitten und an seinen beiden Schmalseiten ein mindestens ebenso langes Band von undurchsichtigem Papier von gleicher Breite angeklebt. Wir erhalten so einen langen Streifen, der nur in der Mitte empfindlich ist, während die beiden Enden aus gewöhnlichem Papier bestehen. Dieser Streifen nun wird auf die linke Rolle in Abbildung 49 aufgewickelt und wickelt sich während der Aufnahmen auf die rechte Rolle ab. Es leuchtet ein, dass die empfindliche Schicht, nachdem dieselbe auf die linke Rolle gewickelt ist, vor Licht vollkommen geschützt ist, da sie durch das übergewickelte Papier gegen Bestrahlung gesichert wird. Wenn sich jetzt im Apparat die empfindliche Schicht von der linken Rolle auf die rechte aufwickelt, so wird dieselbe auch auf dieser wieder vor Lichtwirkung gesichert sein, weil sie abermals von dem undurchsichtigen Papier geschützt ist. Man wird also mit Hülfe dieser Einrichtung im Stande sein, bei vollem Tageslicht den Chronophotographenapparat mit einer neuen Rolle auszustatten, ohne ihn in die Dunkelkammer zu bringen. Abbildung 50 zeigt, in welcher Weise sich die Haut von der Magazinrolle M auf die Empfängerrolle R abwickelt. Abbildung 51 zeigt die innere Einrichtung der Mareyschen Cassette. Man erblickt dort zunächst die Magazinrolle M und die Empfängerrolle R, und die punktirte Linie deutet an, welchen Weg die empfindliche Schicht von der einen Rolle auf die andere nimmt. Sie geht dabei über die Rolle L, welche ihrerseits zu gleicher Zeit mit dem Momentverschluss in Rotation versetzt wird. Das gleichmässige [Aufrollen] Auf- und Abrollen der Schicht wird durch die federnden Röllchen r gewährleistet. Es genügt nun aber durchaus nicht, den Streifen continuirlich zu bewegen, denn um scharfe Bilder zu erzielen, ist es unbedingt nöthig, dass derselbe im Moment der Aufnahme stillsteht. Würde derselbe auch im Moment der Aufnahme sich bewegen, so würde trotz der Kürze der Exposition ein Bild entstehen, welches seitlich verzerrt erschiene; es ist daher ein Mechanismus erforderlich, welcher das empfindliche Band im Moment der Aufnahme einen Augenblick festhält. Diesen Mechanismus zeigt die Abbildung 51 in CC' und die Abbildung 52 im Detail; p stellt dort die empfindliche Schicht dar, während C ein Cylinder ist, dessen Peripherie mit Zähnen versehen ist. Dieser Cylinder wird um die unten angebrachte Achse durch eine Kurbelübertragung so bewegt, dass ebenso oft, wie der Momentverschluss sich öffnet, auch ein Zahn des Cylinders gegen den Hebel C' drückt, welcher gegen die empfindliche Schicht gepresst wird und dieselbe einen Augenblick festhält. Während dieses Festhaltens aber wird der Lauf der Rolle L in Abbildung 51 nicht aufgehalten, denn dies wäre bei der schnellen Aufeinanderfolge der Aufnahmen unthunlich, sondern die Rolle L ist derartig in Federn gelagert, dass dadurch dem momentanen Aufhalten der empfindlichen Schicht Spielraum gewährt wird. Man erkennt ferner in der Abbildung 51 das Fenster F, durch welches hindurch die Belichtung erfolgt und welches vorher zum Zwecke der Einstellung durch die in der Figur zurückgeklappte matte Scheibe V geschlossen ist. Man sieht, der ganze Mechanismus ist ebenso einfach wie sinnreich.

Um noch einmal die Functionsweise des ganzen Apparates kurz zu wiederholen, sei zusammenfassend Folgendes gesagt: die Camera enthält einen Bewegungsmechanismus, welcher gleichzeitig einen alternirenden Momentverschluss bethätigt und bei jeder einzelnen Exposition ein neues Stück der empfindlichen Haut vor dem Fenster F zur Belichtung bringt. Der Apparat ist ferner so eingerichtet, dass der Arbeitende eine ganze Anzahl Vorrathsspulen mit sich führen kann, welche er direct im Freien in die Cassette einsetzen kann, und so, ohne den Dunkelraum zu benutzen, eine grosse Anzahl von Serien hinter einander aufzunehmen im Stande ist.

(Fortsetzung folgt.)

(Schluss von Seite 59.)

Auch die Bewegungen der kleinsten Lebewesen im Wasser, welche sich nur der vergrössernden Kraft des Mikroskops erschliessen, hat Marey mit seinem Apparat studirt. Die Einrichtung, welche er zu diesem Zweck demselben gegeben hat, wird durch die Abbildung 75 versinnlicht. Das Objectiv C dient hier dazu, um Sonnenlicht, welches mittelst eines Heliostaten auf dasselbe geworfen wird, auf das Objectiv zu concentriren. Der Beobachter kann durch die Schraube B und den allseitig beweglichen Schlüssel mv das Objectiv so einstellen, dass sein Focus genau in die Ebene des Objectes p fällt. Das mikroskopische Objectiv ist bei O angebracht, seine Einstellung erfolgt durch den Schlüssel a, während durch das Schräubchen P die Centrirung desselben bewirkt wird. Zugleich kann durch Bewegung einer mit P verbundenen Einrichtung ein kleines Prisma hinter das Objectiv O eingeschaltet werden, mit Hülfe dessen der Beobachter das Licht in ein Hülfsmikroskop, welches in der Abbildung 75 vorn sichtbar ist, werfen kann, um kurz vor der Aufnahme noch die Stellung der aufzunehmenden Gegenstände zu controliren. Wenn dieselben eine für die Photographie günstige Lage einnehmen, wird das Prisma schnell aus dem Strahlenkegel geschoben und der Serienverschluss in Bewegungversetzt. Eine Serie von Bildern, welche auf diese Weise gewonnen wurden, zeigt die Abbildung 76; sie stellt einige Vorticellen, kleine zur Klasse der Infusorien gehörige Wasserthierchen dar, welche durch einen feinen Faden an Algen angeheftet sind. In diesem Faden befindet sich ein contractiles Organ, durch welches bei einer Reizung von aussen her dieser Faden spiralig aufgezogen wird. Die Bewegung dieses Fadens bei der Contraction ist auch auf der Abbildung deutlich erkennbar, wenn dieselbe auch vom Standpunkt der modernen Mikrophotographie nicht gerade zu den grossartigsten Erzeugnissen dieser Art zu rechnen ist.

Dem Vogelflug hat Marey auch seine Aufmerksamkeit zugewendet und immerhin interessante Resultate erzielt, wenn man auch zugestehen muss, dass er auf diesem Gebiet weit hinter Gleichstrebenden zurückgeblieben ist. Besonders Anschütz hat musterhafte Serienaufnahmen von fliegenden Vögeln gemacht, die den Mareyschen Resultaten überlegen sind. Aber auch auf diesem Gebiet tritt die Eigenart der Mareyschen Forschung, das Hervorheben des Wissenschaftlichen, deutlich hervor. So hat er z. B. den sehr wichtigen und für die Theorie des Vogelfluges interessanten Versuch gemacht, die Linie, welche die Spitze des Vogelflügels in der Luft beschreibt, photographisch registriren zu lassen (Abb. 77). Zu diesem Ende befestigte er an der Flügelspitze eines Raben eine innen versilberte leichte Glaskugel und liess denselben an einem dunkeln Hintergründe in der Sonne vorüberfliegen. Man erkennt die ausserordentlich complicirte Form der durch das Reflexbild erzeugten Schwingungscurve. Die vorstehende Aufnahme ist ohne Momentverschluss gemacht, und die Curve ist daher ununterbrochen.

Durch Hinzunahme des alternirenden Momentverschlusses gelang es auch dem Forscher, die Geschwindigkeit der Bewegung in jedem einzelnen Momente des Fluges festzustellen. Abbildung 78 und 79 zeigen den Flug eines Kranichs und einer Ente, während Abbildung 80 eine Taube im Fluge darstellt, von oben gesehen. Diese drei letzten Abbildungen sind auf einer einzigen Platte aufgenommen, und zwar vor einem dunkeln Hintergrunde; vom Taubenflug sind 23 Bilder in der Secunde aufgenommen worden, wobei sich die Körper des Vogels theilweise überlagern, während von Kranich und Ente nur je fünf Bilder in derselben Zeit aufgenommen wurden, wodurch die einzelnen Figuren von einander getrennt erscheinen.

Auch dem Flug der Insekten hat Marey seine Aufmerksamkeit zugewendet, und die Abbildung 81 zeigt schematisch die Form des von ihm hierzu benutzten Apparates. Nahe der Sammellinse C, welche ein paralleles Büschel von Strahlen am hintern Knotenpunkt des photographischen Objectives concentrirt, wird das Insekt mittelst einer Pincette festgehalten; bei O ist der alternirende Momentverschluss angebracht, während sich die empfindliche Platte bei S befindet. In anderen Fällen hat Marey die Insekten gegen eine Glasplatte anfliegen lassen, und auf diese Weise sind die schönen Bilder Abbildung 82 entstanden, welche Schlupfwespen in dieser Stellung in ihren verschiedenen Bewegungen zeigen. Man sieht, wie der Hinterleib des Insektes bei dem Stossen des Körpers gegen die Scheibe sich nach oben krümmt, und wie die Beine unregelmässig gegen die Glasscheibe durch den Flügeldruck gepresst werden.

Schliesslich dürfen wir der Vollständigkeit wegen nicht unerwähnt lassen, dass sich Marey auch mit der Erforschung physikalischer Vorgänge und der Bewegung des Wassers durch die Chronophotographie beschäftigt hat, wenn er auch auf diesem Gebiet durchaus nicht so Hervorragendes geleistet hat wie z.B. Mach (siehe Prometheus Bd. II, S. 615). Abbildung 83 zeigt den freien Fall und Aufprall einer elastischen Kugel. Man erkennt, wie die Geschwindigkeit während des Falles zunimmt, wie die Kugel dann vom Fussboden abprallt und sich in einer parabolisch gekrümmten Linie aufwärts und auf den Beobachter zu bewegt. Durch die Perspective erscheinen hier die einzelnen Kugelbilder näher an einander gerückt, als es, wenn sich der Vorgang in einer einzigen Ebene abspielte, der Fall sein würde. Abbildung 84 zeigt endlich die einzelnen Phasen einer an einem Felsen brandenden Welle; allerdings ohne dass wenigstens in der Reproduction eine charakteristische Wiedergabe zu constatiren wäre.

Mit dem Vorstehenden hoffen wir, dem Leser ein einigermaassen vollständiges Bild der Mareyschen Untersuchungen gegeben zu haben, von welchen voraussichtlich noch bedeutende Resultate zu erwarten sind, denn das, was er der Akademie bis jetzt vorgelegt hat, sind nach seinem eigenen Ausspruch erst vorläufige Untersuchungen, welche die Grundlage für spätere systematische Arbeiten bilden sollen. Jedenfalls ist durch dieselben wieder aufs Neue bewiesen worden, welch ein ausserordentliches Hülfsmittel die Photographie in den Händen des Forschers bildet. Und wenn es auch in diesen Versuchen vielfach erscheint, als wenn der Forscher mehr Rücksicht darauf genommen hätte, zu zeigen, was die Photographie überhaupt kann, als auf den wissenschaftlichen Nutzen des Erreichten, so wird auch hier, wie so vielfach in den Wissenschaften, das Bewusstsein des Könnens die Leistung nach sich ziehen.

(1) Entnommen aus Revue générale des Sciences pures et appliquées, publiée chez G. Carré, Editeur, 58, Rue St. André des Arts, à Paris.

Abb.38: Flugbahn einer vor einem schwarzen Hintergrund geworfenen weissen Kugel, a wie sie dem Auge, b wie sie auf der Chronophotographie erscheint.

Abb.39: Construction des chronophotographischen Apparats für Serienaufnahmen auf einer Platte.

Abb.40: Chronophotographische Aufnahme eines Menschen im Schritt.

Abb.41: Chronophotographische Aufnahme eines Menschen im Lauf.

Abb.42: Chronophotographische Aufnahme eines galoppirenden arabischen Pferdes.

Abb.43: Bekleidung eines Menschen zum Zweck der Analyse der Gliedmassen-Bewegung mittels chronophotographischer Aufnahmen.

Abb.44: Analyse der Gliedmassen-Bewegung eines laufenden Menschen mittels chronophotographischer Aufnahme.

Abb.45: Analyse der Bewegungen bei einem Hochsprung mit Anlauf mittels chronophotographischer Aufnahme.

Abb.46: Bewegung des menschlichen Beines im Schritt.

Abb.47: Bewegung des Hinterbeines eines Elephanten im Schritt.

Abb.48: Bewegung des Hinterbeines eines Pferdes im Schritt.

Abb.49: Rollen zum Aufwickeln des lichtempfindlichen Haut.

Abb.50: Rollen mit aufgewickelter lichtempfindlicher Haut.

Abb.51: Mareysche Cassette zum Chronophotographenapparat.

Abb.52: Mechanismus zum Festhalten des lichtempfindlichen Bandes im Moment der Aufnahme.

Abb.75: Apparat zur chronophotographischen Aufnahme mikroskopischer Lebewesen.

Abb.76: Mikrochronophotographische Aufnahme von Vorticellen (Folge der Bilder von links nach rechts.)

Abb.77: Bewegung der Flügelspitze eines Raben im Fluge.

Abb.78: Flug eines Kranischs.

Abb.79: Flug einer Ente.

Abb.80: Flug einer Taube, von oben gesehen.

Abb.81: Apparat zur Aufnahme des Fluges von Insekten.

Abb.82: Aufnahme zweier Schlupfwespen, von denen die eine unbeweglich sitzt, die andere gegen die Glasscheibe anfliegt.

Abb.83: Bewegungsphasen einer fallenden und abprallenden elastischen Kugel.

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