Full Document


#445

Berliner Börsen-Courier, 20.03.1913, Nr. 133

Die Eröffnung des "Cines"-Nollendorftheaters

fand gestern nachmittag vor geladenem Publikum statt. Sie bedeutet einen grossen Schritt voran in der Entwicklung der Kinematographie, handelt es sich doch hier um das erste ausschliesslich für deren Zwecke errichtete Haus. Wir haben dieses Haus, das Werk des trefflichen, künstlerisch so fein empfindenden Oskar Kaufmann, bereits eingehend geschildert, und es bleibt nur noch übrig, hinzuzufügen, dass das jüngste Kinoheim einen ungewöhnlich behaglich-vornehmen Einduck [Eindruck] macht, zu dem nicht zuletzt die bequemen, mit violettem Stoff bespannten Klubsessel beitragen. Unter jedem der Klappsitze befindet sich übrigens - eine Neuerung - ein Metallgestell, das zur Aufnahme der Hüte bestimmt ist. Wohlverstanden: der Herrenhüte. Denn wenn selbst die Möglichkeit vorhanden wäre, Damenhüte so unterbringen, so würden die Damen in begreiflicher Besorgnis um Reiher und anderen kostbaren Kopfschmuck doch kaum von ihr Gebrauch machen. - Überaus wohltuend berührt in dem Nollendorftheater die unsichtbare, nach oben strahlende Deckenbeleuchtung, und bemerkenswert sind auch die apart ausgebildeten Beleuchtungskörper, die sich als grosse, figurenbekrönte durchbrochene Metallkugeln darstellen und einen anmutigen Reigen um das Mittelstück des Plafonds schlingen. Dieses Mittelstück ist so konstruiert, dass es im Sommer geöffnet werden kann. - Fertig waren gestern noch nicht der Erfrischungsraum und die Garderoben, fertig aber war die geräumige, mit einem geschmackvollen Vorhang versehene und durch antike Säulenmasken gegliederte Bühne, auf der ein "abendfüllender" Film nach Henryk Sienkiewicz' Roman "Quo vadis?" sich abrollte. Zuvor hielt Dr. Hanns Heinz Ewers, der begeisterte Kinofreund und Erfinder des Wortes "Kintopp", eine Ansprache, in der er sich temperamentvoll für die Kinematographie einsetzte, ihre Gegner ein wenig zauste und zum Schluss dem neuen Hause Glück und Segenswunsch als Geleit gab. Dann begann die Vorfühung [Vorführung], die von einem unsichtbaren Orchester unter Leitung Kapellmeisters Friedrich Schirmer musikalisch illustriert wurde.

Der "Quo vadis?"-Film, den die römische "Cines"-Gesellschaft aufgenommen hat, und an dem unter der Regie Prof. Richard Ordynskis erste Künstler Roms mitgewirkt haben, entrollt ein wunderbar plastisches Bild der weltbeherrschenden Roma unter Nero. Die prunkenden Feste und schwelgerischen Mähler am Kaiserhofe ziehen vorüber, die Versammlungen der kleinen Christengemeinde, die sich gläubig um Petrus schart, erscheinen, von grandioser Wirkung aber sind vor allem die Szenen, die den Brand der Stadt, die rauchenden Trümmer, die stürzenden Mauern, die sinnlos flüchtenden Menschen schildern, und dann jene, die im Kolosseum spielen und in der gewaltigen Arena die Wettrennen der Quadrigen, das Ringen zwischen Gladiatoren und Netzkämpfern und schliesslich eine ganze auf das Häuflein der Christen losgelassene Herde von Löwen zeigen. Selten oder nie zuvor ist wohl eine solche Massenentfaltung und solche historische Treue, zugleich aber auch solche Geschicklichkeit des Arrangements auf einem Film zu sehen gewesen, und mit Recht darf man "Quo vadis?", mit dem das "Cines"-Nollendorftheater heute der grossen Öffentlichkeit übergeben wird, als einen Triumph der Kinematographie ansprechen.

Please enable Javascript

 

This site only works with Javascript enabled. Please check your browser settings and then reload this page. Thank you.