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#4067

Der Tag, 22.03.1913

[Der Tag 22.03.1913 Bühnengenossenschaft und Kino Der letzte ...]

Der Tag 22.03.1913

Bühnengenossenschaft und Kino

Der letzte Tag des Schauspielerparlaments.

Am Karfreitag nachmittag kam nach stellenweise stürmischen Debatten über eine Reihe von Antragen eine für die Öffentlichkeit besonders interessante Angelegenheit zur Sprache. Es wurde nämlich beantragt, dass die Genossenschaft grundsätzlich Stellung nehmen möchte zu der Tatsache, dass bedeutende Schauspieler "filmen" oder, wie es im Jargon des Bühnenvölkchens heisst, "kientoppen". Die Anträge haben folgenden Wortlaut:

Die Delegiertenversammlung spricht ihre Verwunderung darüber aus, dass namhafte Schauspieler ihre Künstlerschaft für die Reklamezwecke der Kino-Industrie verkaufen und dadurch mithelfen, die Lebensfähigkeit der deutschen Bühnen zu untergraben.

Die Delegiertenversammlung der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger als berufene Vertreterin des deutschen Schauspielerstandes möge einstimmig Protest erheben gegen die Profanierung unserer Klassiker durch die Kino-Industrie.

Die Delegiertenversammlung möge ihr tiefstes Bedauern darüber aussprechen, dass bedeutende zeitgenössische Dichter sich haben bewegen lassen, einzelne ihrer Werke für den Film zu bearbeiten und somit einer Zwitterkunst Erfolge schaffen, durch welche das deutsche Theater und seine Schauspieler auf das ärgste geschädigt werden. [Ende]

Werner Bernhardy-Berlin, der diese Anträge eingebracht hat, begründet sie und bringt eine Fülle von Missständen zur Sprache, die in der Kinoindustrie für den Kinoschauspieler herrschen, und meint weiter, dass die Allgemeinheit einmal erfahren möge, dass der deutsche Schauspieler an der Profanierung unserer Klassiker keinen Anteil habe. Es sei nicht zu verkennen, dass dem Schauspieler mit Familie ein Nebenverdienst, wie ihn das "Kientoppen" bietet, wohl zu gönnen sei, aber ebenso müsse man verlangen, dass der im Engagement befindliche Schauspieler zum mindesten das Kientoppen den engagementslosen Kollegen überlasse.

"Das Kino ruiniert das Theater,["]

diese Erkenntnis haben wir längst gewonnen; diese Tatsache ist nicht abzuleugnen. Und da sollen wir Schauspieler, die wir unser Brot am Theater haben, mithelfen, das Theater zu ruinieren, indem wir kientoppen? Nein, sprechen wir einen lauten Protest gegen diese Filmerei aus.

Nachdem noch eine Reihe anderer Redner gesprochen, wurde die Zwölferkommission beauftragt, die notwendigen Vorarbeiten für eine Organisation der Kinoschauspieler zu machen und auf der nächsten Delegiertenversammlung Bericht zu erstatten.

Die Besoldung des Präsidenten

bildete auch gestern wieder den Gegenstand langer Debatten. Einen Zwischenfall in der Endlosigkeit der Reden bildete dabei ein Zusammenstoss zwischen Herrn Rickelt und dem Delegierten Platen, der sich den "Ton" des Vorsitzenden nicht gefallen lassen wollte. Der Sturm im Wasserglase ging aber endlich vorüber, und es gelangte folgender Antrag des Herrn Clewing zur Annahme:

"Die Delegiertenversammlung wolle beschliessen: § 27, letzter Absatz, des Genossenschaftsstatuts erhält folgenden Zusatz: Der Präsident wird für seine Tätigkeit, die er ausschliesslich der Genossenschaft zu widmen hat, besoldet. Die Höhe der Besoldung wird Anfang der Amtsperiode für deren Dauer von der Delegiertenversammlung bestimmt. Eine gastweise, nicht aufeinanderfolgende Ausübung der künstlerischen Tätigkeit ist auf besonderen, jedesmaligen Antrag von Fall zu Fall vom Zentralausschuss zu genehmigen.

Die Höhe des Gehalts ist die gleiche, wie sie vor zwei Jahren festgesetzt worden ist.

Nickel erklärt nun: "Wir können gar nichts anderes, als Nissen wiederwählen, ich weiss ja nicht, ob er die Wiederwahl annimmt, jedenfalls möchte ich hier mitteilen, dass ich bis zum Schluss der Amtsperiode Nissens die Präsidialgeschäfte in Vertretung zu führen bereit bin, ohne eine Entschädigung dafür zu beanspruchen." Hierauf wird infolge eines Dringlichkeitsantrages sofort zur Wahl des Präsidenten geschritten, die nach Nissens Amtsniederlegung notwendig geworden ist. Die Abstimmung ergibt, wie nicht anders zu erwarten war,

die Wiederwahl Nissens,

und zwar mit 117 von 137 abgegebenen Stimmen. Die zwanzig Stimmen verteilen sich auf verschiedene Namen; "als ein Keim für die Zukunft", so sagte Rickelt "ist vielleicht anzusehen, dass ein Zettel den Namen Helene Riechers trägt". Nissen wurde in einem dringenden Telegramm das Resultat mitgeteilt, und nun bleibt abzuwarten ob er trotz seines "melancholischen Abschiedsbriefes" die Wiederwahl annehmen wird. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen wurden Anträge auf Gründung einer Reise-Darlehns-Kasse und der Errichtung einer Engagementsvermittlungsstelle nach den Referaten Rickelts angenommen. Bei dem Punkte

Erhöhung der Genossenschaftbeiträge

betonten die einzelnen Ordner der Opposition, dass die Erhöhung prozentual viel zu hoch sei, und die gering Bezahlten die Neubelastung nicht tragen könnten. Darauf entgegnete Rickelt "Wir sind keine Hexenmeister und müssen daher auch Mittel haben, wenn wir den Genossenschaftlern grosse Vorteile gewähren wollen." Der Antrag wird schliesslich angenommen. Nach Erledigung noch einer Reihe anderer Beiträge wurde in vorgerückter Abendstunde die diesjährige Tagung geschlossen.

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Protest der Kinointeressenten

Während die Schauspieler auf der Genossenschaftstagung über das Elend der Kinoschauspieler debattierten, fand im grossen Saal der Brauerei Friedrichshain eine Protestversammlung gegen die steuerliche Belastung und die immer schärfer werdenden polizeilichen Vorschriften statt. Der Schutzverband Deutscher Lichtspieltheater hatte sie einberufen, um einmal vor der grossen Öffentlichkeit zu zeigen, unter welch schwierigen und drückenden Verhältnissen die Kinos existieren müssen. Nach Eröffnung der Versammlung durch den Vorsitzenden Herrn Templiner sprach Auerbach (Köln) über "Steuer, Polizei und Kino". Er führte aus, dass die den Kinos auferlegte Steuer schon mehr einer "Erpressung" gleiche und forderte eine Reichszensur oder mindestens eine Landeszensur, um der Willkür der Ortspolizeibbörden [Ortspolizeibehörden] einen Riegel vorzuschieben. Der Redner plädierte für eine Schliessung aller Kinos bis zum 15. Mai überall da, wo die Belastung besonders gross ist. Rosenthal (Berlin) behandelte das Thema Steuer und Polizei im speziellen. In kurzer Zeit haben über 150 Kinos schliessen müssen, wodurch über 2 Millionen Mark Schaden entstanden seien. Man müsse einmal richterliche Entscheidung über die Steuerfrage herbeiführen, es ginge doch nicht an, dass dadurch ein ganzes Gewerbe ruiniert werde. Nach langer Diskussion an der einzelne besonders krasse Fälle zur Sprache kamen, wurden zwei Resolutionen angenommen, die den Staatsbehörden unterbreitet werden sollen. Es wird in beiden Resolutionen die Hofnung [Hoffnung] und die sichere Erwartung ausgesprochen, dass die Ministerien endlich ein Einsehen haben und die notwendigen Erleichterungen für die Kinos herbeiführen werden. Andernfalls soll der Beschluss, die Kinos bis zum 15. Mai zu schliessen, durchgeführt werden. Der grosse Steuerausfall werde dann zeigen, dass die Städte sich allein ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie die Kinos so hoch belasten.

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